Gemeinderat, 71. Sitzung vom 29.06.2020, Wörtliches Protokoll - Seite 35 von 93
Corona-Krise doch Österreich nur gestreift hat und an uns vorbeiziehen wird, teile ich diese Einschätzung angesichts der weltweiten Daten überhaupt nicht mehr. Mit derzeit an die 200.000 neuen Fällen jeden Tag - die Zahl ist nach wie vor steigend - ist es nur eine Frage der Zeit, bis es wieder nach Österreich zurückkommt. Ich glaube daher, dass man überhaupt nicht davon sprechen kann oder daran denken kann, dass man 2020 oder 2021 noch einmal ein ausgeglichenes Budget machen sollte. Wie soll denn das gehen? Das geht auf Bundesebene nicht, und da reden wir tatsächlich im Gegensatz zu Wien wahrscheinlich, wenn wir die nächsten 2, 3 Jahre dazunehmen, über 50, 60, 70 Milliarden EUR. Wer weiß, dass die Bundeshauptstadt im Großen und Ganzen so wie die gesamte staatliche Finanzierung vom Finanzausgleich abhängt, dass mehr als zwei Drittel ihrer Einnahmen eigentlich von den Steuereinnahmen auf Bundesebene abhängen, der weiß, dass, wenn diese zurückgehen und so wie diese zurückgehen, auch die Einnahmen der Stadt Wien in einem Maß zurückgehen werden.
Das, was allerdings notwendig ist - und das würde ich mir wünschen, auch wenn man nicht immer zu 100 Prozent politisch übereinstimmt, denn jetzt haben wir auf Bundesebene Schwarz-Grün, in Wien haben wir Rot-Grün, in anderen Bundesländern andere Konstellationen -, was es, glaube ich, tatsächlich braucht, um diese Krise zu überwinden, ist die Einsicht: Das geht nur gemeinsam. Das geht auch nicht, wenn man sich über die Maßnahmen des einen lustig macht, die Maßnahmen der anderen kritisiert und die eigenen ganz super findet. Ja, na selbstverständlich hat der Bund ganz andere Möglichkeiten als jedes Bundesland und jede Gemeinde. Und ich hoffe, dass der Gastro-Gutschein die Impulse auch tatsächlich bringt und umsetzt, die wir in ihn hineingesetzt haben - 40 Millionen EUR. Gleichzeitig zahlt es sich überhaupt nicht aus, gegen die 450 Millionen EUR für ArbeitslosengeldbezieherInnen zu wettern, sondern auch da müsste es von Haus aus unsere Aufgabe als Stadt Wien sein, die Frage zu stellen: Wie kann man Dinge umsetzen? Das muss für alle diese Unterstützungsmaßnahmen gelten, das sind Unterstützungsmaßnahmen für die Wirtschaft, das sind Unterstützungsmaßnahmen für arbeitslose Menschen, für in Arbeit befindliche Menschen - weil schon richtig angeklungen ist, es werden nicht alle aus der Kurzarbeit wieder direkt in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis zurückkommen, eher das Gegenteil wird wahrscheinlich der Fall sein. So, und dann gibt es noch ganz viele Menschen, die vor der Krise schon arm oder armutsgefährdet waren - auch diesen muss man weiterhelfen, na selbstverständlich. Und ich bin sehr froh, dass es in dieser Situation - und das sind auch mit unseren Steuergeldern finanzierte Mittel - staatliche Vorsorge gibt. Da hat der Staat schon wirklich viel gut gemacht, in Österreich und in Wien, was Schulen betrifft, was Gesundheitsvorsorge betrifft, was öffentlichen Verkehr betrifft, et cetera. Und es wird auch an der Wirtschaft liegen, aber es wird vor allem an der öffentlichen Hand liegen, wie sehr es uns in dieser Krisenzeit gelingt, diese Krise nicht bei den Menschen so spürbar zu machen, dass wir wirklich alle miteinander in eine gemeinsame Depression schlittern.
Diesen Kurs würde ich mir wünschen, dass wir den alle verstärkt angehen. Und am Ende - und dann wird sich halt der Unterschied tatsächlich zeigen, das befürchte ich ein bisschen - wird es dann eine Rechnung geben weltweit, aber auch in Österreich. Und irgendwann wird man zu diskutieren beginnen: Wie finanzieren wir die notwendigen Mehrausgaben? Denn dass diese Mehrausgaben notwendig sind, das zieht ja überhaupt niemand mehr in Zweifel. In der jetzigen Situation, glaube ich. Aber wer zahlt dann die 60, 70, 80 Milliarden EUR - was auch immer es in den nächsten eineinhalb, zwei Jahren kosten wird -, die wir als öffentliche Hand ausgeben? Und da hoffe ich doch sehr, dass wir uns gemeinsam darauf einigen können, dass es diejenigen zahlen, die es sich leisten können, und wir nicht mit neuerlichen Sparpaketen dann Menschen wieder zurück in die Armut schicken.
Es ist unsere Aufgabe und unsere Verantwortung, sicherzustellen, dass wir uns bestmöglich des Problems der Pandemie annehmen. Verhindern können wir sie jetzt sowieso nicht mehr. Gesundheitspolitisch - finde ich - haben wir die erste Welle wirklich herausragend alle miteinander geschafft. Tatsächlich habe ich Angst vor der zweiten Welle, und das steht für mich ein bisschen im Vordergrund, auch vor dieser heutigen Rechnungsabschlussdebatte, weil man umgekehrt ja sagen muss: Ob wir 300 Millionen EUR Überschuss oder Schulden gemacht hätten, ist angesichts der Zahlen, die momentan auf die Republik und auch auf die Stadt Wien zukommen, tatsächlich nebensächlich.
Ich hoffe, wir schaffen es. - Danke sehr.
Vorsitzende GRin Gabriele Mörk: Herr Gemeinderat, ich darf Sie ersuchen, noch das Rednerpult zu reinigen. Bitte. - Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau StRin Mag. Nittmann. Ich erteile es ihr. Bitte, Frau Stadträtin.
StRin Mag. Ulrike Nittmann (FPÖ): Frau Vorsitzende! Herr Stadtrat! Sehr geehrte Damen und Herren!
Kollege Margulies hat schon recht, ja, im Jahr 2020 und in den nächsten Jahren wird einiges auf uns zukommen. Dennoch möchte ich zum Thema zurückkehren, nämlich zum Rechnungsabschluss 2019, und es ist mir schon auch wichtig, dass wir uns das Jahr 2019 genau anschauen. Ich möchte da ein bisschen chronologisch vorgehen, Herr Stadtrat, und mit Ihrer Pressekonferenz am 8.6. beginnen. Da haben Sie, so wie auch heute, verkündet: Ein Jahr früher als geplant keine neuen Schulden.
Im Vorwort zum Rechnungsabschluss 2019 - ich habe mir dieses, wahrscheinlich im Gegensatz zu einigen anderen, die hier sitzen, ziemlich genau angeschaut - führen Sie aus: Erstens, dass Investitionen in Milliardenhöhe getätigt wurden, der Ausbau der Bildungsinfrastruktur vorangetrieben wurde und die beste medizinische Versorgung für alle Bewohner dieser Stadt sichergestellt wurde. Weiters: Der Rechnungsabschluss diene der Transparenz, und man solle auf den ersten Blick erkennen, dass die Stadt verantwortungsvoll und nachhaltig mit dem Budget umgegangen ist. Ein ausgeglichenes
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