Gemeinderat, 37. Sitzung vom 24.05.2018, Wörtliches Protokoll - Seite 9 von 70
manches Mal macht es durchaus Sinn, wenn man mehr versucht, das in den Vordergrund zu stellen, was wir letztendlich auch gemeinsam wollen.
Nicht zuletzt möchte ich mich bei allen Wienerinnen und Wienern für ihre Kritik bedanken. Manche sagen abwertend und hässlich Motschgerei, nein, das meine ich gar nicht damit, sondern die Kritik, die sie an uns geübt haben und die uns dann immer zu Bestleistungen angespornt hat. Ohne diesen Typus Wiener, glaube ich, wären wir nicht so gut. Da wird mir der Magistratsdirektor wahrscheinlich recht geben, das hat schon etwas für sich. Und ich möchte mich dafür bedanken, dass die Wienerinnen und Wiener mir eingeräumt haben, über so lange Zeit mit ihnen und für sie zu arbeiten. Dafür bin ich zutiefst dankbar. (Allgemeiner Beifall.)
Nun darf ich an die künftige Wiener Stadtregierung alle guten Wünsche richten. Es ist im Interesse der Stadt, wenn es der Stadtregierung gut geht, denn dann funktioniert die Arbeit, funktioniert die Akzeptanz bei der Bevölkerung. Das wünsche ich dir, Michi, aber natürlich dem ganzen neuen Stadtsenat aus ganzem Herzen.
Und nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir zum Abschluss - denn man kennt mich, so ganz kann ich so nicht gehen -, Ihnen einen kleinen Aphorismus vorzulesen, den mir Leopold Gratz, als ich Bürgermeister wurde, gegeben hat. Keine Sorge, ich habe ihn eingekürzt, aber das Wesentliche ist ausgesagt. Dieser Aphorismus ist in Form eines Gebetes formuliert, und gleichzeitig möchte ich sagen, dass ich ihn mir selbst auch zu Herzen nehme. Er heißt:
Herr, erhalte mich liebenswert.
Herr, du weißt es besser als ich, dass ich von Tag zu Tag älter und eines Tages alt sein werde. Bewahre mich vor der Einbildung, bei jeder Gelegenheit und zu jedem Thema etwas sagen zu müssen. Erlöse mich von der großen Leidenschaft, die Angelegenheiten anderer ordnen zu wollen. Bei meiner ungeheuren Ansammlung an Weisheit tut es mir ja wirklich sehr leid, sie nicht weiterzugeben, aber du verstehst, Herr, dass ich mir ein paar Freunde erhalten möchte. Ich wage nicht, um ein besseres Gedächtnis zu bitten, nur um etwas mehr Bescheidenheit und etwas weniger Bestimmtheit, wenn mein Gedächtnis nicht mit dem der anderen übereinstimmt. Lehre mich die wunderbare Weisheit, dass auch ich mich irren kann. Lehre mich, an anderen Menschen unerwartete Talente zu entdecken und verleihe mir, oh Herr, die schöne Gabe, sie auch zu erwähnen. Auch Gedankenlosigkeit gepaart mit Geschwätzigkeit halte, oh Herr, von mir fern, denn eigentlich genügt es, wenn meine Umgebung die Schilderung dessen, was einmal war, von mir in gleicher Weise bereits zum vierten Mal gehört hat. Erhalte mich daher so liebenswert wie möglich. Ich weiß, dass ich nicht unbedingt ein Heiliger bin, aber ein alter Griesgram, das ist das Krönungswerk des Teufels.
Ich bedanke mich bei Ihnen für all die Zeit, die ich mit Ihnen arbeiten durfte, die ich mit Ihnen verbringen durfte und auf Wiedersehen. (Allgemeiner langanhaltender, teilweise stehend dargebrachter Beifall. - Bravo-Rufe bei der SPÖ. - Bürgermeister Dr. Michael Häupl werden Blumensträuße überreicht.)
Vorsitzender GR Mag. Thomas Reindl: Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Lieber Michael, danke für deine Worte!
Ich erlaube mir jetzt auch, als Vorsitzender des Gemeinderates und auch namens der Kolleginnen und Kollegen ein paar Worte an dich zu richten.
Wie wir ja wissen, gibt es seit 1282 das Amt des Wiener Bürgermeisters, und Dr. Michael Häupl ist der 165. Bürgermeister dieser doch sehr langen Periode, der heute sozusagen seine Abschiedsrede gehalten hat. Ich habe mich mit Freunden getroffen, um zu diskutieren, was man eigentlich jemandem sagt, der 35 Jahre in der Stadt an verantwortungsvoller Stelle gearbeitet hat, ein Vierteljahrhundert als Bürgermeister, und der in vielen Funktionen als Stadtrat, Bürgermeister national, aber auch international tätig war, und eigentlich fast alles über die Person bekannt ist - ein paar Geheimnisse wird es schon noch geben, hoffe ich.
Ein Freund hat gemeint, na ja, ein bisschen etwas aus der Biographie. Da habe ich gesagt, na ja, ich kenne unseren Bürgermeister, er sagt immer: Erzähl niemandem eine Biographie, die er selbst am besten kennt. Daher werde ich also davon Abstand nehmen.
Ein anderer Freund hat gemeint, vielleicht eine Hagiographie. Da du jetzt am Schluss das Gebet gesagt hast, bin ich nicht mehr so überzeugt, ob es nicht doch vielleicht gut war, aber eine Hagiographie ist ja, über das irdische Leben der Heiligen zu sprechen, über ihren Kult und die nach Überzeugung der jeweiligen Kultgemeinschaft bewirkten Wunder Aufschlüsse zu geben. Das erscheint mir auch nicht ganz richtig. Erstens hat mich das mit dem „heilig“ ein bisschen stutzig gemacht, denn erfreust du dich ja bester Gesundheit, und die Wunder, die Wien am Laufen halten, sind ja in Wirklichkeit Knochenarbeit des Bürgermeisters, der Stadtregierung und der vielen Tausenden Hände der Kolleginnen und Kollegen, die sich hier in der Stadt jeden Tag ins Zeug legen.
Ein anderer hat gemeint, da in diversen Zeitungen ja Statistiken etwa über den Rebsortenanbau in Wien veröffentlicht wurden, dass vielleicht die Ampelographie auch ein Thema wäre, also die Rebsortenkunde. Da habe ich gemeint: Also, da, glaube ich, bin ich nicht sehr kundig. Und die Doxographie, dass man erzählt, was andere über unseren Bürgermeister erzählen, glaube ich, ist hier auch falsch am Ort.
Daher habe ich mich auf das zurückgezogen, was du am 7. November 1994 gesagt hast. Du hast heute ja auch bereits einiges davon im Rahmen deiner Rede erwähnt, und ich möchte hier aber nur drei wesentliche Schwerpunkte herausheben.
Bei deiner Antrittsrede als Bürgermeister am 7. November 1994 hast du als ersten und wichtigsten Punkt, und das war auch heute der wichtigste Punkt, ein klares Bekenntnis zu Europa und am Vorabend des Beitrittes zur Europäischen Union auch zur Europäischen Union abgelegt und auch eingefordert. Auch hast du den Arbeitsauftrag gegeben, dass Wien seine Pflicht hat, als Mitgestalter der Europäischen Union und Europas tätig zu sein, und dass wir als Wienerinnen und Wiener vor allem den Menschen in den osteuropäischen Ländern
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