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Gemeinderat, 68. Sitzung vom 29.06.2015, Wörtliches Protokoll  -  Seite 54 von 140

 

handeln in den letzten Monaten über die Höhe des Primärüberschusses, aber nicht darüber, ob überhaupt ein Primärüberschuss existiert. Ja, existiert er jetzt oder nicht? Wenn er aber existiert, dann ist Griechenland selbstverständlich in der Lage, die laufenden Pensionen zu bezahlen – definitionsgemäß: Einnahmen weniger Ausgaben ergibt einen Überschuss im Budget, weil Zinsen nicht berücksichtigt werden. Also werden sie wohl in der Lage sein, die Pensionen zu bezahlen und die laufenden Ausgaben für die Beamten, et cetera zu tätigen. Die griechische Regierung wird halt keine großen Sprünge machen können und sie werden Schwierigkeiten haben, auf dem privaten Kapitalmarkt Geld aufzutreiben - das ja! -, aber sie sind nicht bankrott im technischen Sinn, dass sie ihre laufenden Ausgaben nicht erfüllen können - es sei denn, dass der Primärüberschuss wieder im Nebel der griechischen Finanzstatistik verschwindet. (GR Mag Wolfgang Jung: Genau! Das ist es!) Das weiß ich natürlich nicht! Wir sind da seit 2009 gebrannte Kinder - klar -, aber bisher sind offensichtlich alle - der IMF, die EZB, die Troika insgesamt - davon ausgegangen, dass es diesen Primärüberschuss gibt. Insofern könnte die Tsipras-Regierung relativ ruhig und gelassen den künftigen Verhandlungen entgegensehen, weil sie ja die laufenden Verpflichtungen erfüllen kann - solange die EZB nicht die 90 Milliarden EUR fälligstellt. Dann allerdings ist der Ofen aus, weil die griechischen Banken natürlich nicht 90 Milliarden auf einen Schlag zurückzahlen können.

 

Eine interessante Situation! Ich mache mich bei vielen meiner grünen Freunde und Freundinnen unbeliebt, wenn ich darauf hinweise, dass die Tsipras-Regierung schon einige Monate Zeit gehabt hätte, etwas zu unternehmen. Alle Länder in der Union, oder fast alle, sind in der Lage, mit der Schweiz ein Abkommen zu schließen über die Meldungen von Guthaben ihrer Bürger in der Schweiz. Wer ist nicht in der Lage dazu? – Ausgerechnet Griechenland. Mittlerweile natürlich sind diese Vermögen weg. Wenn sie jemals in die Schweiz transferiert wurden, dann sind sie inzwischen doch auf den Cayman Islands, was weiß ich. Eine sogenannte linke Regierung bringt es nicht zustande, diesen Kapitalabfluss zu stoppen? Ich muss schon sagen: Erstaunlich!

 

Vor fünf Jahren hat sich herausgestellt, dass Griechenland nicht einmal ein Grundstückskataster hat. Das ist eine Mindestvoraussetzung für ausländische Investoren! Wenn ich heute irgendwo eine Fabrik hinstellen will und will das Grundstück kaufen, dann möchte ich schon wissen, ob ich dann auch der Eigentümer sein werde, oder? Und was die Korruption und die Vetternwirtschaft betrifft, so habe ich auch nach 5 oder 6 Monaten Tsipras-Regierung noch nie gelesen, dass das eingestellt ist. - Das ist die eine Seite.

 

Jetzt zur anderen Seite. Wolfgang Böhm sagt heute in der „Presse“ zwei bemerkenswerte Dinge, finde ich, nachdem er auch verschiedenes an Griechenland kritisiert hat: „Der Rest der Euro-Gruppe war freilich nie bereit, ernsthaft über das eigentliche Problem der Krise zu sprechen: einen nie und nimmer abbaubaren Schuldenberg.“ (GR Mag Wolfgang Jung: Richtig!)

 

Ja, in der Tat: Griechenland war 2010 schon zahlungsunfähig, was die Schulden gegenüber fremden Gläubigern betrifft. Damals hatte ich ein gewisses Verständnis dafür, dass sozusagen der Mantel des Schweigens darüber gebreitet wurde und Griechenland behandelt wurde, als ob es illiquid wäre, obwohl es in Wahrheit insolvent war. Und ich weiß schon, die Grenze ist fließend, aber mittlerweile stellt sich auch nach fünf Jahren heraus, Griechenland ist in Bezug auf die Schulden gegenüber dem Ausland insolvent und nicht illiquid. Ausgerechnet der Internationale Währungsfonds hat das mehrfach thematisiert und gesagt, Leute, ihr müsst mit den Griechen auch über einen Schuldenschnitt verhandeln! - Die Eurozone hat sich geweigert.

 

Heute lese ich in der „Financial Times“, dass sogar der amerikanische Finanzminister sagt, na ja, aber dieser Punkt gehört schon auch debattiert, nämlich ein Schuldenschnitt. - Ich weiß schon, das kostet die Amerikaner nichts, der hat leicht reden. Aber trotzdem, es ist einfach eine Tatsache, dass die von dieser Schuldenquote von 180 Prozent des BIP nie herunterkommen können. Das ist undenkbar. Undenkbar! Und die Tsipras-Regierung hat insofern recht, als sie sagt, dieses Kernproblem gehört aber auch thematisiert und ihr dürft nicht so tun, als ob wir mit euren vorgeschlagenen fiskalischen Maßnahmen, die im Wesentlichen natürlich die Austerität, das heißt, die Rezession in Griechenland befördern und nicht abschwächen, jemals herunterkommen könnten von diesem Schuldenberg. Ich meine, es ist eine schlichte Tatsache, dass Griechenland 2010, als die Krise akut und transparent war, also offen ausgebrochen ist, bei einer Schuldenquote von rund 120 oder 130 Prozent des BIP stand, und all diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass wir mittlerweile bei 180 Prozent - Tendenz steigend - sind. Das kann ja wohl nicht sein, dass das so weitergeht! - Das verstehe ich absolut an der griechischen Seite.

 

Und wieso ist es nicht möglich, über dieses Ding zu verhandeln? - Wolfgang Böhm schreibt an einer anderen Stelle in seinem Kommentar heute: „Alle - auch die harte deutsche Seite - haben innenpolitische Erwägungen über den gemeinsamen Erfolg gestellt.“

 

Innenpolitische Erwägungen über den gemeinsamen Erfolg gestellt. - Ich würde Sie einladen, mit mir ein Gedankenexperiment zu machen: Stellen wir uns einmal vor, wie Österreich politisch regiert würde, wenn Österreich die politische Struktur der Europäischen Union hätte. Jetzt lassen wir alle Paragraphen weg - ich kenne mich ja auch nicht aus mit diesen Hunderten von Paragraphen -, nur holzschnittartig das Grundsätzliche: Wir haben ein Parlament, und wir haben eine Regierung - das Letztere werde ich gleich in Frage stellen. Im Parlament, im Nationalrat würde sich nicht allzu viel ändern; schon etwas: Die Wiener hätten weniger Abgeordnete, die Vorarlberger mehr, wegen der Gewichtung der Größe der Länder im Europäischen Parlament. (GR Mag Wolfgang Jung: Sie hätten kein Gesetzgebungsrecht!) Gesetzgebungsrecht schon, aber kein Initiativrecht! Das Initiativrecht ginge von der Österreichischen Kommission aus, die sich ihrerseits immer mit dem Österreichischen

 

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