Gemeinderat, 22. Sitzung vom 27.04.2012, Wörtliches Protokoll - Seite 3 von 90
(Beginn um 9.01 Uhr.)
Vorsitzender GR Godwin Schuster: Meine sehr geschätzten Kolleginnen und Kollegen!
Ich eröffne die 22. Sitzung des Wiener Gemeinderates.
Entschuldigt für die heutige Sitzung insgesamt sind GR Mag Kasal, GR Kops, GRin Schubert und GR Vettermann. Frau nichtamtsführende Stadträtin Matiasek hat mir mitgeteilt, dass sie sich ab 11.15 Uhr entschuldigen lässt.
Herr Amtsf StR Mailath-Pokorny hat mitgeteilt, dass er um 15 Uhr bei einem Begräbnis anwesend sein muss, nämlich jenem von Kammersänger Holecek. Ich habe dieses auch in der Präsidialkonferenz so mitgeteilt und bitte, dies in der Diskussion ebenfalls zu berücksichtigen, sollten wir dann den Themenbereich Kultur haben, und der Herr Stadtrat ist nicht anwesend.
Wir kommen nun zur Fragestunde.
Die 1. Anfrage (FSP - 01467-2012/0001 - KVP/GM) wurde von Herrn GR Dr Wolfgang Ulm gestellt und ist an den Herrn amtsführenden Stadtrat der Geschäftsgruppe Kultur und Wissenschaft gerichtet. (Rot-Grün will den Namen und damit das Andenken an den großen christlichsozialen Bürgermeister Dr Lueger, dessen kommunalpolitischen Verdienste unbestritten sind, von der Ringstraße verbannen. Der Sozialist Dr Karl Renner rief 1938 zum Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland auf. Eine Umbenennung des Dr-Karl-Renner-Ringes ist aber nicht geplant. Ernesto Che Guevara ließ hunderte Menschen exekutieren, baute eine schreckliche Diktatur auf und wurde zum Idol des linken Terrorismus. Ihm wurde erst 2008 im Donaupark ein Denkmal gewidmet. Wenn Sie an linke historische Persönlichkeiten andere Maßstäbe anlegen, agieren Sie ideologisch und parteipolitisch. Werden Sie in Zukunft sachlicher vorgehen?)
Bitte, Herr Stadtrat.
Amtsf StR Dr Andreas Mailath-Pokorny: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrter Herr Gemeinderat!
Es geht in dieser Frage um die Umbenennung des Dr-Karl-Lueger-Ringes. Lassen Sie mich zunächst versuchen, ein grundsätzliches Missverständnis auszuräumen, weil in Ihrer Frage davon die Rede ist, dass wir den Namen und das Andenken Karl Luegers von der Ringstraße verbannen wollen. Das ist natürlich nicht richtig. Bei der Umbenennung des Lueger-Rings geht es mir keineswegs um die Auslöschung oder gar Verbannung, auch nicht um eine - wie es in einem Artikel gestanden ist - damnatio memoriae, also die Verurteilung der Erinnerung.
Wenn Sie meine Äußerungen dazu genau verfolgen, dann bemühe ich mich ganz im Gegenteil um eine differenzierte Herangehensweise, die gerade im Fall von Karl Lueger durchaus auch nachvollziehbar sein sollte. Bei der übergroßen und selbst für uns nur schwer dokumentierbaren Zahl von Gedächtnisorten für Lueger von Auslöschung, Verbannung oder damnatio memoriae zu sprechen, ist schlicht und einfach nicht zutreffend.
Die grundsätzliche Haltung der Stadt zu Benennungen und Umbenennungen von Verkehrsflächen ist eindeutig. Straßennamen dokumentieren auch die historische Entwicklung einer Stadt, aus diesem Grund sollen Namen, die in der Geschichte einer Kommune eine Rolle gespielt haben, auch sichtbar sein und bleiben - nur eben nicht unkommentiert oder unhinterfragt! Auch im konkreten Fall des Lueger-Rings geht es um eine differenzierte Betrachtung, um eine Relativierung der tatsächlich umstrittenen historischen Persönlichkeit Karl Luegers.
Zweifellos war Karl Lueger ein großer kommunalpolitischer Erneuerer mit vielen Verdiensten im Rahmen einer veränderten Welt, einer stark wachsenden Stadt, in der sich die Bevölkerung innerhalb weniger Jahre vervielfachte. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung der Stadt Wien beteiligt, wie wir sie heute kennen. Kommunalpolitische Errungenschaften wie die Hochquellenwasserleitung, Elektrifizierung und Versorgung der Stadt, Ausbau der Straßenbahn, Erhalt des Wienerwaldes und vieles andere mehr bleiben mit seinem Namen verbunden.
Zu Karl Lueger gehört aber auch, dass er den Antisemitismus als politisches Instrument in die Moderne eingeführt hat! Ich zitiere: „Wir in Wien sind Antisemiten, aber zu Mord und Totschlag sind wir gewiss nicht geschaffen. Wenn aber die Juden unser Vaterland bedrohen sollten, dann werden auch wir keine Gnade kennen." - So wetterte Lueger zum Beispiel in einer Wahlkampfrede am 4. Dezember 1905.
Solche Eskapaden setzten sich aber auch regelmäßig hier im Wiener Gemeinderat, in diesem Hause fort. Bei einer der Sitzungen wird Lueger von einem politischen Kontrahenten an eine Aussage erinnert, wonach es Lueger - ich zitiere: „gleichgültig ist, ob man Juden hängt oder erschießt", Ende des Zitats. Wiens Bürgermeister Lueger erwiderte in einem Zwischenruf: „Köpft, habe ich gesagt, köpft!" – Zitat Ende.
Juden bezeichnet er gemeinhin als „Gottesmördervolk" und warnte: „Wien darf nicht Groß-Jerusalem werden."
Solche Zitate und Begebenheiten gehörten zum alltäglichen Sprachgebrauch Luegers. Sie sind in Form digitalisierter Protokolle auf der Website der Österreichischen Nationalbibliothek abrufbar. Trotz dieser leichten Verfügbarkeit hat das Wissen um diese Facette dieses Bürgermeisters nicht jene Bewusstheit und Bekanntheit, die sie zweifellos verdient.
Karl Lueger war auch nicht zuletzt für seine Wissenschaftsfeindlichkeit, seine Abneigung gegenüber den Universitäten als Orten der Veränderung, der heraufziehenden Moderne bekannt.
Diese beiden Aspekte und die Tatsache, dass es noch mehr als ein Dutzend weiterer Lueger-Gedächtnisorte, vom prominenten Platz bis zur Gedenktafel, in Wien gibt, waren für uns Grund, den Wunsch der Universität Wien aufzugreifen und jenen Straßenteil, der zwischen der Universität und dem Burgtheater liegt - zwei Orten der Aufklärung, die Lueger selbst nicht wollte! -, in „Universitätsring" umbenennen zu wollen.
Mit dieser Umbenennung kommt die Stadt Wien eben auch dem Wunsch der Universität Wien nach und macht ihn sich zu eigen. Die größte Universität Österreichs
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