Gemeinderat,
38. Sitzung vom 30.10.2008, Wörtliches Protokoll - Seite 56 von 106
GRin Claudia Smolik (Grüner Klub im
Rathaus): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!
Laut Geschäftsordnung beantrage ich eine
Sitzungsunterbrechung zur Abhaltung einer Präsidiale, um über die Vorgangsweise
des Herrn Vorsitzenden zu diskutieren, wie hier in diesem Hause die Begriffe
des Faschismus und des Antifaschismus jetzt verwendet beziehungsweise bewertet
werden.
Ich bitte um die Sitzungsunterbrechung. (Beifall bei
GRÜNEN und SPÖ.)
Vorsitzender GR Dr Wolfgang Ulm: Ich
unterbreche die Sitzung für 5 bis 10 Minuten.
(Die Sitzung wird von 14.44 Uhr bis 15.04 Uhr
unterbrochen.)
Vorsitzender GR Godwin Schuster: Sehr
geschätzte Kolleginnen und Kollegen!
Wir nehmen die Sitzung wieder auf.
Der Grund für die Sitzungsunterbrechung und das Zusammenkommen
der Präsidialkonferenz war die Wortwahl in der vergangenen Diskussion, nämlich
bei der Postnummer 1. Vom Vorsitzenden Kollegen Dr Ulm wurde das
Protokoll verlangt, nachdem Christian Oxonitsch, der Klubvorsitzende der SPÖ,
dies in einem Debattenbeitrag zur Geschäftsordnung verlangt hatte, damit wir
sehr genau mit der Sachlage umgehen können.
Die GRÜNEN haben diese Unterbrechung verlangt, und
wir haben uns jetzt sehr ausführlich darüber unterhalten, wie denn der Ton in
diesem Haus zu sein hat. – Wir sind schließlich, wie ich glaube, einhellig
zur Ansicht gekommen, dass wir mit der Wortwahl und mit bestimmten Themen, die
auch die Geschichte Österreichs betreffen, sehr sorgfältig umgehen müssen. Es
gab Konsens in dieser Frage des sorgfältigen Umgehens mit dem Ton.
Wir haben in der Zwischenzeit noch während der
Sitzungsunterbrechung das Protokoll bekommen, und ich möchte nun in zweierlei
Hinsicht darauf eingehen.
Das Protokoll gibt einerseits wörtlich den
Redebeitrag von Mag Gudenus wieder, andererseits wurde mir jetzt vom
Vorsitzenden Dr Ulm gesagt, dass es einen Zwischenruf des Kollegen Margulies zu
den Freiheitlichen hin gab, der sinngemäß lautete – ich habe es nicht
schriftlich vor mir –, dass die FPÖ offenbar dem Faschismus huldige.
Ich nehme beides auf, weil ich dem Vorsitzenden
Dr Ulm glaube und nicht annehme, dass er mir etwas gesagt hat, was
missinterpretiert werden kann.
Ich lese jetzt kurz die entsprechende Passage aus dem
Redebeitrag von Mag Gudenus vor: „Noch abschließend, Herr Ellensohn, zu
Ihnen, weil länger ist es nicht wert, darüber zu reden: Der Faschismus von
heute sagt nicht: Ich bin der Faschismus!, sondern der Faschismus von heute
sagt: Ich bin der Antifaschismus! – Schreiben
Sie sich das bitte hinter die Ohren!“
Ich habe es in der Präsidialkonferenz gesagt: Für
diese Darstellung erteile ich Herrn Mag Gudenus einen Ordnungsruf. (Beifall
bei SPÖ und GRÜNEN.)
Gleichzeitig erteile ich auch Herrn
Dipl-Ing Margulies einen Ordnungsruf für den genannten Zuruf an die
Freiheitliche Partei, denn es ist genauso falsch, das der Freiheitlichen Partei
insgesamt zu unterstellen.
Es ist nicht duldbar, dass wir hier mit der Wortwahl
so locker umgehen. Es geht um so vieles, vor allem auch um die Würde dieses
Hauses. Ich bitte um Verständnis dafür! (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)
Als Nächster zu Wort gemeldet ist GR Dipl-Ing
Margulies. Ich erteile es ihm.
GR Dipl-Ing Martin Margulies (Grüner
Klub im Rathaus): Sehr geehrter Herr Vorsitzender!
Ich verspreche Ihnen, ich arbeite jetzt nicht am Hattrick.
Dennoch erlaube ich mir, die erste Minute meiner Redezeit zu einer kurzen
Bemerkung zu nutzen.
Der Ordnungsruf, den ich jetzt erhalten habe, hat
sich schon daraus ergeben, dass Mag Gudenus erst jetzt nach einer ungefähr
viertelstündigen Unterbrechung im Nachhinein einen Ordnungsruf für eine
Wortmeldung erhalten hat, die tatsächlich nicht nur die Würde des Hauses in
Frage stellt, sondern die wirklich deutlich macht, dass Herr Gudenus
Schwierigkeiten hat, Faschismus richtig zu interpretieren und sich davon zu
distanzieren. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Godwin
Schuster! Ich nehme den Ordnungsruf für meinen Zwischenruf aus der Bank zur Kenntnis.
Ich sage aber gleich: Deshalb muss ich nicht unbedingt meine Meinung ändern!
Jetzt zurück zum tatsächlichen Tagesordnungspunkt.
Wir haben uns zu diesem Punkt ausgemacht, im
Zusammenhang mit „departure“ über die Finanzmarktkrise und die Auswirkungen auf
Wien generell zu diskutieren.
Ich möchte einleitend kurz sagen: Wir stimmen
selbstverständlich dem Tagesordnungspunkt zu. Ich möchte aber die Gunst der
Stunde nutzen, um doch ein paar grundlegende Worte zur jetzigen
Finanzmarktkrise zu sagen, nachdem auch in den Medien immer wieder der Eindruck
entsteht, es handle sich in der gegenwärtigen Situation lediglich um das
Ergebnis dessen, dass einige Banken beziehungsweise Banker und Investoren ihre
Zockermentalitäten nicht ablegen konnten und so dazu beigetragen haben, dass
die gesamte Welt in eine Wirtschaftskrise stürzt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ganz so verhält
es sich nicht! Es wäre zu leicht, die jetzige Finanzmarkt- und Bankenkrise auf
die leichtfertige Kreditvergabe der US-amerikanischen Hypothekenbanken zu
reduzieren. Ich meine vielmehr, dass es sich um systemimmanente Fehler handelt,
wenn man glaubt, dass jemandem in einem kapitalistischen System einfach Geld
geschenkt wird, wenn man glaubt, dass es an der Börse immer nur aufwärts gehen
kann, wenn man sich freut, wenn es Kurssprünge um 20 Prozent nach oben
gibt, wenn man gleichzeitig, einer unlogischen Privatisierungslogik folgend,
immer mehr Dienstleistungsbereiche und die private Pensionsvorsorge dem freien
Kapitalismus opfert.
Überlegen wir uns, was eigentlich
in den letzten fünf Jahren an der Börse tatsächlich geschehen ist: Es war ein
Pyramidenspiel sondergleichen! Es wurden neben
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