Gemeinderat,
10. Sitzung vom 26.06.2006, Wörtliches Protokoll - Seite 84 von 118
GRin Nurten Yilmaz
(Sozialdemokratische Fraktion des Wiener
Landtages und Gemeinderates): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte
Frau Vizebürgermeisterin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Familie und Beruf müssen vereinbar sein - diese
Forderung ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokaten kein Lippenbekenntnis,
sondern gelebte Politik. Nur Wien, Frau Kollegin Cortolezis, hat im
Vergleich mit den anderen acht Bundesländern eine flächendeckende ganztägige
Kinderbetreuung aufzuweisen! Wien hat die längsten Öffnungszeiten und die
wenigsten Schließungstage. Wien hat das beste und professionellste
Betreuungsangebot aller Bundesländer.
Das sagt nicht nur die Arbeiterkammer jedes Jahr,
sondern auch die Industriellenvereinigung. Eine Studie der
Industriellenvereinigung wurde Anfang April vorgestellt, und die Überschrift
heißt: "Wien ist mit Kinderbetreuungsplätzen im Österreich-Vergleich am
besten versorgt". Ich hoffe, Sie werden vielleicht dieser Studie mehr
Glauben schenken.
Jetzt möchte ich ein paar Zahlen nennen.
77 803 Kinder werden derzeit in Kinderkrippen, Kindergärten und
Horten betreut. Von insgesamt 47 400 Kindern in Wien im Alter
zwischen drei und sechs Jahren werden fast 44 000 in öffentlichen und
privaten Einrichtungen betreut; das ist ein Versorgungsgrad von 93 Prozent.
Das heißt, dass die Wienerinnen und Wiener das bestehende Angebot gerne und in
hohem Ausmaß in Anspruch nehmen.
Und das aus gutem Grund: Was die städtischen
betrifft, so bieten zwei Drittel aller Kindergärten interkulturelle
Integrationsmaßnahmen an. In 50 Prozent der Kindergärten können die Kinder
mit speziellen Materialien nach Montessori tägliche Erfahrungen des Lebens
üben. Das spielerische Erlernen der Grundbegriffe in englischer Sprache wird
flächendeckend angeboten. In 40 Kindergärten wird der verantwortungsbewusste
Umgang mit Kleintieren erlernt, und in jedem zweiten Kindergarten wird das
spielerische Erlernen des Umgangs mit dem PC angeboten. Ausschließlich
pädagogisch wertvolle Spiele kommen dabei zur Anwendung. Schließlich kommt in
städtischen Kindergärten geschlechtspezifische Pädagogik zum Einsatz.
Mehr als die Hälfte der Kindergärten verfügt über
eine logopädische Betreuung und eine Betreuung durch FachpsychologInnen
beziehungsweise SonderkindergärtnerInnen. In Wien ist die Kinderbetreuung kein
Berufshemmnis, ganz im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern, in denen die
Kindergärten grundsätzlich halbtags geöffnet sind - falls die Mütter und Väter
überhaupt einen Kindergartenplatz finden! Der Anteil der ganztägig betreuten
Kinder in Wien liegt in Wiener Kindergärten bei 72 Prozent; das ist
doppelt so hoch wie der Schnitt der anderen Bundesländer, der bei
36 Prozent liegt.
Sehr geehrte Damen und Herren! Wiens Kinderbetreuung ist
sozial, denn eine gute Betreuung darf nicht vom Einkommen der Familien
abhängen. Für uns hat jedes Kind Anspruch auf eine gute Betreuung, egal, in
welche Familie es hineingeboren ist. Deshalb erhalten rund 40 Prozent der
Eltern eine Ermäßigung bei den Beiträgen - 40 Prozent! -, und ein Drittel
muss überhaupt keinen Beitrag für die Kinderbetreuung zahlen. Der Stadt Wien
ist diese gute, flächendeckende Betreuung und Versorgung unserer Kinder
jährlich 300 Millionen EUR wert. Private Kindergärten und
Kinderbetreuungseinrichtungen werden dabei genauso gefördert wie die
städtischen.
Im Jahr 2005
hat die Stadt 90 gemeinnützige private Vereine mit insgesamt
56 Millionen EUR gefördert. Dazu kommen Förderungen für Tagesmütter
sowie Kostenzuschüsse für Beitragsermäßigungen in der Höhe von
26 Millionen EUR. Es wäre wirklich zu wünschen, dass die Bundesregierung
im Bereich der Kinderbetreuung dem Beispiel Wiens folgen würde, statt den
Müttern de facto die Wahl zwischen Beruf einerseits und Kindern andererseits
aufzudrängen.
Sehr geehrte Damen und
Herren! Noch ein Wort vielleicht zu Zwang und Freiwilligkeit. Wir erleben seit
mehreren Jahren, dass die schwarz-blau-orange Bundesregierung auf ein einziges
Instrument setzt, und zwar auf Zwang und Verpflichtung. Das ist nur dann
irritierend, wenn man die Aussagen ihrer Repräsentanten ernst nimmt. Da reden Bundeskanzler
Schüssel und Frau Ministerin Gehrer von viel Freiheit und Eigenverantwortung,
wenn es darauf ankommt, setzen sie aber viel lieber auf Zwangsmaßnahmen.
Studierende müssen für ihr Studium Studienbeitrag zahlen, und wenn sie länger
brauchen, weil sie Geld verdienen müssen für diese Studiengebühren, beleidigt
sie noch der Kanzler in seine Rede zur Lage der Nation als Bummelstudenten.
ORF-SeherInnen, also die
paar, die noch da sind, werden gezwungen, eine in beiden Kanälen
durchgeschaltete Schüssel-Rede zu hören, und ZiB-SeherInnen – und auch diese
Gruppe schrumpft mittlerweile, wie wir wissen –, also diese verbliebenen
ZiB-SeherInnen müssen die ÖVP‑Parteipropaganda über sich ergehen lassen,
und jede TV-Besitzerin, jeder TV-Besitzer muss dafür ORF-Gebühren bezahlen. Die
ArbeitnehmerInnen müssen später in Pension gehen, und die PensionistInnen
müssen mit sinkenden Pensionen leben.
Das ist das Grundprinzip
dieser Regierung: Zwang statt Freiwilligkeit und Selbstverantwortung. Wir
meinen, dass die Menschen weder zu dumm noch zu unwillig sind. Wir setzen auf
Freiwilligkeit – auch bei der Kinderbetreuung.
Die Forderung nach
verpflichtendem Kindergartenbesuch, natürlich von der ÖVP-Familiensprecherin
Ridi Steibl erhoben, ist absurd, wenn wir in Wien bereits eine Versorgungsquote
für die Drei- bis Sechsjährigen haben, die bei 93 Prozent liegt. Auch die
Forderung nach verpflichtendem Kindergartenbesuch für Kinder mit nichtdeutscher
Muttersprache – immerhin sind das auch 40 Prozent der Wiener Kinder –, ist
absurd, denn 95 Prozent der nicht österreichischen Kinder besuchen eine
Betreuungseinrichtung, und zwar freiwillig und ohne Zwang. – Soweit die
Vorschulbetreuung oder die Betreuung nach dem Unterricht.
Aber was passiert
eigentlich in der Schule selbst? Da
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