Gemeinderat,
9. Sitzung vom 24.05.2006, Wörtliches Protokoll - Seite 65 von 108
Im Übrigen hat die Forscherin aus der Akademie der Wissenschaften, Frau Barbara Herzog-Punzenberger, die gerade in den letzten Tagen mit Kritik an der so genannten Integrationsunwilligkeits-Studie der Frau Innenministerin vorgetreten ist, bereits vor wenigen Jahren mit einer Studie, die sie sozusagen mit Unterstützung der Stadt Wien gemacht hat, aufhorchen lassen, in der sie zum Schluss gekommen ist, dass es derzeit aus statistischer Sicht de facto niemand aus der zweiten Generation in dieser Stadt geschafft hat, einen Universitätsabschluss zu erreichen. Das muss man sich vorstellen! Niemand schafft es bis zur Uni! Niemand hat vor wenigen Jahren, statistisch gesehen, einen Abschluss erreicht. Das heißt: Es waren so wenige, dass man sie in einer statistischen Erhebung nicht erfassen konnte.
All das sind Fakten, die nicht neu sind. Wir kennen
sie schon seit Jahren und haben sie immer wieder von dieser Stelle aus
erörtert. Nach der Veröffentlichung der PISA-Daten wissen wir jetzt aber, dass
es wirklich höchste Zeit ist, Alarm zu schlagen.
Es ist natürlich kein Zufall, dass es in den Schulen
so ist: Immerhin sind seit dem Jahr 2000 1 300 Lehrerinnen und Lehrer
eingespart worden. Die Förderung des muttersprachlichen Unterrichts ist
gegenüber dem Jahr 2000 rückläufig. Das Ausmaß an muttersprachlicher Betreuung,
das jedem Kind pro Woche zur Verfügung steht, wurde übrigens exakt um die Hälfte
gekürzt.
Wir haben es mit überfüllten Klassenzimmern zu tun.
Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler pro Klasse ist gestiegen. Wir haben ein
enormes Potential an Sprachenreichtum in unseren Schulen, das aber brach liegt.
In Wiens Schulen werden über 200 Sprachen gesprochen, 40 davon in nennenswerter
Anzahl, aber es wird nichts in diesen Sprachenreichtum investiert, man macht
nichts daraus.
Wir haben nach wie vor kein Kindergartenkonzept für
Kinder mit Migrationshintergrund. Ich frage Sie: Kann es sein, dass ich da
etwas verschlafen habe? – Das glaube ich nicht, denn ich habe mir diesen
Bereich in den letzten Jahren ganz besonders genau angeschaut! Wo bleibt also
das spezielle Kindergartenkonzept, das man in dieser Stadt entwickelt hat, um
in diesen Sprachenreichtum zu investieren, mit Frühförderung systematisch
anzusetzen und bilinguale beziehungsweise multilinguale Kindergärten
auszubauen, um von Anfang an zweisprachig zu alphabetisieren? – Ich kann
Ihnen an dieser Stelle nur sagen: In städtischen Kindergärten sind in den
letzten zehn Jahren zehn muttersprachliche Betreuerinnen zur Verfügung
gestanden, und diese Zahl ist unverändert!
Last but not least: Wo bleiben die Daten? – Wir
wissen, dass es insgesamt 12 000 außerordentliche Schülerinnen und Schüler
gibt, aber wir wissen nicht, an welchen Standorten! Wir wissen es zumindest
offiziell nicht. Es heißt, dass diese Daten inzwischen automatisch an das
Ministerium weitergeleitet werden, aber angeblich an keiner Stelle der Stadt
Wien gesammelt werden. Wir wissen, dass etwa 5 000 LehrerInnen nicht
klassenführend sind und für besondere Aufgaben eingeteilt werden, wir wissen
aber nicht, wo und in welchem Ausmaß. Wir wissen nicht, wie viele der
außerordentlichen Schülerinnen und Schüler in offenen Schulen Nachmittagsbetreuung
in Anspruch nehmen.
Die GRÜNEN haben versucht, all diese Daten mittels
schriftlicher Anfrage zu bekommen. Es hat geheißen: Diese Daten liegen nicht
vor! Wir haben also, zu all dem, was ich jetzt gerade beschrieben habe, auch
noch eine datenlose Stadt! Das muss ich zumindest annehmen, wenn ich der
Antwort der Frau Stadträtin Glauben schenke, und ich habe keinen Grund, diese
zu hinterfragen.
Offenbar werden diese Daten – wie ich
feststellen muss – nicht erhoben, und das ist ein sehr, sehr großer
Fehler! Wie soll man denn wissen, wie und wo man gerade steht und wohin des
Weges man geht, wenn nicht einmal die Daten erhoben werden?
Spätestens seit dem Vorliegen von PISA kann man all
das allerdings nicht mehr leugnen. Bis jetzt hätte man sagen können: All das
ist eine Interpretationsfrage. Die GRÜNEN regen sich zu sehr auf, sie
übertreiben! – Ich sage nun: Nein, das tun sie nicht! PISA spricht Bände. (Zwischenruf von GR Kurth-Bodo Blind.) Gott
sei Dank wurde diese Studie nicht von GRÜNEN erstellt!
Diese Daten und Fakten sind definitiv nicht mehr zu
hinterfragen, und wir haben es hier sehr wohl mit einer Misere zu tun, und
diese Misere hat sozusagen eine Mutter und auch einen Vater. – So Leid es mir
tut, muss ich sagen: Die Mutter heißt Elisabeth Gehrer, sie sitzt seit vielen
Jahren im Bildungsministerium und verfolgt einen Sparkurs, der sich gewaschen
hat. Deren bildungspolitische Kompetenz lässt sich für mich ohnedies mit dem
Satz zusammenfassen: Ich habe ein Budget zu sanieren und damit basta. –
Dazu braucht man nicht mehr viel zu sagen.
Diese Misere hat aber auch einen Vater. (VBgmin Grete Laska: Das ist klarerweise
Karl Heinz Grasser!) Dann hat sie halt zwei oder vielleicht auch mehrere
Väter, darüber werden wir uns schon einigen! (Amtsf StRin Mag Sonja Wehsely: Schüssel und Grasser!) Um die
Vaterschaft buhlt auch unser Herr Bürgermeister, der immerhin beim
Finanzausgleich seine Unterschrift gegeben hat. (VBgmin Grete Laska: Das ist ein großer Irrtum!) Es ist schon ein
paar Jahre her, dass diese Unterschrift gegeben wurde, mit welcher die Stadt
diese Einsparungen sehr wohl zur Kenntnis genommen hat! (Bgm Dr Michael Häupl: Das ist jetzt schon ein bisschen
unhöflich!)
Nun stellt sich aber die Frage: Was tun wir? Was tun
wir seit jenem Jahr 2000? Was tun wir, seitdem wir wissen, dass
1 300 Lehrerinnen und Lehrer sozusagen eigentlich wegbeglückt wurden?
Sind wir jetzt bereit oder nicht, endlich einen Teil dieser Lehrerinnen und
Lehrer, die fehlen, aus dem eigenen Budget zu bezahlen? Das ist eine der
Fragen, die wir heute an den Herrn Bürgermeister richten. Und ich höre hier
nicht auf zu hoffen, dass ich heute vielleicht eine andere Antwort bekomme als
bisher! Diese Situation in den Wiener Schulen ist wirklich nicht länger
tragbar! (Bgm Dr Michael Häupl: Das
waren jetzt wirklich kühne Behauptungen!)
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