Gemeinderat,
53. Sitzung vom 25.02.2005, Wörtliches Protokoll - Seite 89 von 102
unter der Inflationsrate angepasst worden, das schafft Armut. Die Arbeitslosigkeit ist auf dem höchsten Wert der Zweiten Republik und nähert sich sozusagen ganz gruseligen Werten der Ersten Republik. Die gegenwärtige Wirtschaftspolitik drängt insbesondere Frauen aus dem Arbeitsmarkt, und ohne Erwerbseinkommen steigt das Armutsrisiko rasch an.
Auch das vielleicht zur Kollegin Korosec gesagt: Wenn
mehr als die Hälfte der Frauen den Wiedereinstieg nach der Kinderpause nicht
schafft, das nicht als Falle zu bezeichnen, finde ich für ein starkes Stück!
Dass wir hier etwas reformieren und verändern müssen, um die Vereinbarkeit von
Beruf und Familie für den Wiedereinstieg zu erleichtern, ist ja evident und
ist, glaube ich, auch durch dieses Zahlenwerk sehr gut belegt. (StRin Karin
Landauer: Wer hindert Sie daran, das zu tun?)
1 044 000 Menschen in Österreich sind
in Armut oder armutsgefährdet. In Österreich fallen derzeit vier Menschen pro
Stunde in Armut - vier Menschen pro Stunde! -, und die Bundesregierung tut
nichts, um das zu stoppen. Die Sozialquote in Österreich sinkt seit Jahren. Das
ständige Argument vom überbordenden Sozialstaat ist daher falsch, ein immer
kleinerer Teil der Wertschöpfung unseres Landes wird für Sozialausgaben
aufgewendet.
Sind wir aber hilflos? Gäbe es nichts zu tun? Gibt es
keine Konzepte? Natürlich nicht, weil wir auch aus anderen Staaten, anderen
Ländern wissen, was gemacht wird. Ich brauche mir also nur anzuschauen, was die
tun. Dort gibt es diese Bildungs- und Beschäftigungspolitik, den Umbau zu einem
Steuersystem, das Beschäftigungsanreize schafft und nicht nur über die
Möglichkeit, Verluste sozusagen auch im Ausland zu lukrieren, das
Steueraufkommen noch zusätzlich minimiert, und vor allem auch keinen weiteren
Sozialabbau in Österreich. (GR Mag Wolfgang Gerstl: Die höchste
Arbeitslosenrate...!)
Wir Wiener haben die Arbeitsmarktförderung nicht
gekürzt, anders als der Bund, und wir haben bei öffentlichen Investitionen -
ich bin schon darauf eingegangen - entsprechend sogar erhöht. In Österreich
steigt die Arbeitslosigkeit, in Wien sinkt sie, und das ist keine
Eintagsfliege, es ist der sechste Monat hintereinander. Dies ist das Ergebnis
bewusster sozialdemokratischer Politik in Wien! (Beifall bei der SPÖ.)
Wenn man sich anschaut, was Wien hier unterscheidet:
Die Stadt Wien bildet in ihren Unternehmen 1 000 Lehrlinge in
37 Berufen aus, der Bund 200 - gratuliere! (GR Dr Matthias Tschirf:
Völlig andere Strukturen!) Ja, ja,
ganz andere Strukturen, natürlich. (GR Mag Wolfgang Gerstl:
...6 Prozent in Österreich, 10 Prozent in Wien!)
Zu einigen Statistiken -
für die Freunde der Statistik -, zuerst einmal ein Vergleich der
Landes-Sozialhilfesysteme: Sogar das Sozialministerium sagt, Wien hat hier ein
flexibleres Sozialhilfesystem, das kann in konkreten Fällen auch besser helfen
und mehr auszahlen als andere Bundesländer. Da schau her, das sagt das
Sozialministerium! (GR Mag Harald STEFAN: ...aber tut es nicht! - Weitere
Zwischenrufe bei der FPÖ.) Sie haben die Sozialhilfesysteme verglichen und
auch hier etwas festgestellt: Wiener Gemeindebauten - die Möglichkeit, eine
günstige Wohnung zu finden, ist in Wien noch besser als in allen anderen
Ballungsräumen. Das heißt auch hier: Unsere konkrete Wohnungspolitik trägt
Früchte und verhindert Armut.
Wien hat - wieder eine
Statistik für die Freunde der Statistik, eine Statistik vom Hauptverband der
Sozialversicherungsträger - von allen Bundesländern den geringsten Anteil an
Ausgleichszulagenbeziehern. 8 Prozent der Pensionisten müssen in Wien
Ausgleichszulage bekommen, in anderen Bundesländern wie zum Beispiel Kärnten
über 18 Prozent.
Statistik Austria,
Kinderbetreuung in Österreich: Ich bin darauf schon eingegangen, dass das
Kinderbetreuungsangebot in Wien von allen Bundesländern das mit Abstand beste
ist. Ich wiederhole es jetzt nicht, um auch ein bisschen Zeit einzusparen.
Aber wenn man sich das
alles vor Augen führt, dann ist doch eines ganz klar, nachdem ich jetzt auch
diese ganzen Statistiken zitiert habe: Dass ich daran zweifle, ob ein eigener
Sozial- oder Armutsbericht in Wien sehr viel mehr an neuen Erkenntnissen mit
sich brächte. Ich glaube das nicht. Wir wissen, welche Personengruppen von
Armut und Armutsgefährdung bedroht oder betroffen sind. Es gibt viele Analysen
dieser Situation. (Zwischenrufe von GR Günther Barnet und GR Walter Strobl.)
Was jetzt notwendig ist, sind konkrete Daten, auch um eine neue Wirtschafts-
und Sozialpolitik, eine neue Politik im Bund einzufordern. Politik gestaltet
sich hier und jetzt, und nicht, indem man sich die Statistik von gestern
anschaut. Hier und jetzt müssen wir etwas tun, um die Zukunft zu gestalten.
Daher: Wer mit uns gegen
die schwarz-blaue Wirtschaftspolitik kämpft - das ist vor allem zu den
Einreichern zu sagen -, ist herzlich willkommen. Aber auf alle Fälle wissen die
Wienerinnen und Wiener, dass sie im Kampf gegen die Armut einen Partner, eine
Partnerin haben, nämlich in der stärksten politischen Kraft im Haus, in der
Wiener Sozialdemokratie! Hier haben sie eine verlässliche Partnerin gefunden. -
Vielen Dank. (Beifall
bei der SPÖ.)
Vorsitzender GR Dr Herbert Madejski: Als Nächster zum Wort gemeldet hat sich Herr
GR Aigner. (GR Dr Matthias Tschirf: Dr Aigner!)
GR Dr Wolfgang Aigner
(ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt
Wien): Herr Vorsitzender! Meine Damen
und Herren!
Mich wundert es, dass bei
dem an sich ja schon amtsbekannten Hang der Mehrheitsfraktion in diesem Haus
zur Fabrikation von Hochglanzbroschüren bei Ihnen ein so großer Widerwille
dagegen zutage tritt, einen Armutsbericht für Wien anzufertigen. Ich weiß
schon, es ist viel angenehmer, sich selbst zu beweihräuchern und zu bejubeln,
als den Blick auf harte Daten und Fakten zu werfen.
Insofern
sind wir den GRÜNEN sehr dankbar, dass sie das Thema Armut hierher in den
Gemeinderat gebracht haben. Der gleiche Dank gilt eigentlich auch dem
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular