Gemeinderat,
53. Sitzung vom 25.02.2005, Wörtliches Protokoll - Seite 72 von 102
meine Damen und Herren, die Wiener Sozialhilfe ist immer unter der Armutsgrenze. Das heißt, alle Menschen, die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger sind, leben unter der Armutsgrenze! Damit muss sich Wien auseinander setzen. Das hat auch Volksanwalt Kostelka oder die Armutskonferenz oder die Caritas immer wieder zur Kenntnis gebracht und darauf gedrängt, dass Wien da Änderungen vornimmt.
Wir müssen uns die Zahlen der Delogierungen
anschauen. Wir müssen uns anschauen, wie die genaue Statistik der Schuldnerberatung
ausschaut, wie es bei der Behindertenpolitik ausschaut, wie es bei den Frauen
ausschaut - das habe ich schon gesagt - und vor allem auch, wie es in Bezug auf
die Kinder ausschaut.
Vielleicht eine Zahl, die Sie möglicherweise
interessiert: Wir hatten im vorvorigen Jahr ungefähr 18 000 Kinder
und Jugendliche, die in Haushalten aufwachsen, wo die Eltern
Sozialhilfebezieherinnen und -bezieher sind und wir haben im letzten Jahr
bereits 20 000 Kinder und Jugendliche aus Sozialhilfefamilien gehabt.
Das ist eine Steigerung innerhalb eines Jahres um 2 000 Kinder und
Jugendliche! Das ist alarmierend und auch damit müssen wir uns eindeutig
auseinander setzen.
Mein Vorschlag ist daher, dass man die
Erhebungsmethode, die für den sozialen Bericht des Bundes angewandt wurde, auch
in Wien anwendet und um den Faktor “Bildung“ ergänzt, denn wir haben jetzt
mehrmals gehört und uns damit auseinander setzen müssen, dass gerade die
schlechte Bildung der Eltern auf die Bildung der Kinder und auf ihre Chancen,
die sie in der Schule haben, rückwirkt. Das heißt, auch dieser Faktor muss mit
einbezogen werden.
Vielleicht noch ein Argument, das Gemeinderätinnen
und Gemeinderäte interessieren könnte und sie dazu verleiten könnte, einer
Zustimmung nahe zu treten. Ich versuche es jetzt noch mit einem weiteren
Argument:
Wir haben als Gemeinderätinnen und Gemeinderäte die
Aufgabe, uns zu informieren und über die Lage informiert zu sein. Das können
wir nur, wenn wir Daten und Fakten einfordern. Ich weiß schon, dass sich das für
eine Regierungspartei anders darstellt als für die Oppositionspartei, aber
nicht ganz anders, wenn Sie Ihren Auftrag als Mandatarinnen und Mandatare
wirklich ernst nehmen und das tun Sie sicher. Das andere, wozu wir es brauchen
können, ist: Wenn wir den Bericht am Tisch haben, dann sind wir dazu
aufgefordert, neue Instrumente der Sozialpolitik zu erfinden, denn Innovationen
sind nicht nur etwas für den technischen oder sonstigen Bereich, Innovationen
kann es auch und muss es auch im sozialen Bereich geben. Und wenn sich die
soziale Lage in Wien in eine Schieflage verwandelt, dann sind wir dazu
aufgefordert, etwas zu tun, Innovationen einzusetzen und korrigierend zu wirken
und uns Neues einfallen zu lassen, was es bislang nicht gegeben hat.
Ein Letztes, meine Damen und Herren, was sich vor
allem an die Abgeordneten der Opposition richtet: Wir haben als Mandatarinnen
und Mandatare auch die Aufgabe der Kontrolle und Kontrolle können wir nur dann
ausüben, wenn wir informiert sind. Das heißt, alles hängt an der Information.
Das gesamte Kapitel Demokratie hängt an der Information, denn nur wer
informiert ist, kann mitdenken, kann mitreden, kann mitentscheiden und kann
Vorschläge erarbeiten.
Damit bin ich auch schon am Ende meiner Begründung
dafür, dass wir diesen Sozialbericht haben wollen und ich bin zuversichtlich,
dass Sie diesem Antrag auch zustimmen können und zustimmen werden. - Danke. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer:
Also ich eröffne nun die Debatte, wobei ich bemerke, dass die Dauer der
Diskussion maximal 180 Minuten beträgt.
Als erste Diskussionsrednerin Frau GRin Mag
Vassilakou.
GRin Mag Maria Vassilakou (Grüner Klub im Rathaus): Sehr geehrter
Herr Vorsitzender! Verehrte Damen und Herren!
Der jüngst veröffentlichte Armutsbericht belegt es
eindrucksvoll: Etwas mehr als eine Million Menschen in Österreich sind
armutsgefährdet, das heißt, sie müssen von weniger als 785 EUR im Monat
leben. Knapp ein Viertel davon lebt in Wien. Das heißt, wir sprechen von
immerhin 240 000 Menschen, die in Wien von weniger als 875 EUR
im Monat leben müssen, die mit diesem Betrag auskommen müssen. Darüber hinaus
leben österreichweit 460 000 Menschen von immerhin weniger als
655 EUR im Monat. Also das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen und
ich glaube gerade wir, die sich hier seit Jahren - und viele von uns Monat ein,
Monat aus - darüber freuen können, dass etwas mehr als 3 000 EUR ganz
selbstverständlich aufs Konto fließen, gerade wir sollten vielleicht eine
Sekunde lang innehalten und darüber nachdenken, was es bedeutet, von weniger
als 655 EUR im Monat in dieser Stadt auskommen zu müssen.
Was heißt es, weniger als
655 EUR zu haben? Es heißt, wenn es kalt ist, überlegen zu müssen, an
welchen Tagen man heizen kann oder überhaupt welche Räumlichkeiten in einer
Wohnung man sich leisten kann zu heizen. Es heißt, dass man überlegen und
nachrechnen muss, ob man sich überhaupt neue Schuhe leisten kann oder einen
neuen Mantel, gerade wenn es kalt ist so wie an Tagen wie heute. Und es heißt
auch, dass es Familien gibt und gerade in der Bundeshauptstadt offenbar nicht
wenige Familien, die überlegen müssen und genau rechnen müssen, wie oft in der
Woche sie sich überhaupt Fleisch leisten können und das in einer der reichsten
Städte der Welt! Und ich glaube, es lohnt sich tatsächlich, kurz eine Pause von
dem, womit wir uns an einem so langen Tag wie heute beschäftigen, zu machen und
vielleicht unsere Aufmerksamkeit genau auf diese Personengruppe zu richten,
denn diese Personengruppe beträgt in Wien belegter Weise immerhin mindestens
70 000 Menschen, denn so viele Menschen beziehen Leistungen aus der
Sozialhilfe in Wien und das heißt, sie müssen mit sogar noch weniger als
655 EUR auskommen. Sie müssen sogar mit maximal 630 EUR im Monat
auskommen! Das heißt, sie sind in einem Bereich, der deutlich unterhalb der
Armutsgrenze liegt. Sie gelten als
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