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Gemeinderat, 1. Sitzung vom 18.11.2005, Wörtliches Protokoll  -  Seite 41 von 56

 

Grund-Kulturfertigkeit des Lesens müsste uns allen ein großes Anliegen sein.

 

Ein letzter großer Punkt, den ich noch anschneiden möchte als ein Feld, auf dem wir, glaube ich, einen Rückstand haben und etwas aufarbeiten müssen, ist der ganze Bereich Demokratie/Partizipation/Kontrolle. Es ist heute mehrfach das Thema Wahlrecht angesprochen worden. Da bin ich nicht hinreichend naiv zu glauben, dass sich angesichts der Mehrheitsverhältnisse etwas ändern könnte. Das schlechte Gewissen sollen Sie haben. Ich bin sehr froh, dass Sie nicht 50 Prozent der Stimmen erhalten haben; somit fehlt Ihnen eine gewisse moralische Legitimation. Ich gehe davon aus, dass Sie auch ohne die ganz kommod leben können, aber wir werden Sie immer wieder daran erinnern. (Beifall bei der ÖVP.)

 

In einem Punkt sollten wir uns gemeinsam finden, auch angesichts der Wahlbeteiligung, die ich im Gegensatz zu vielen anderen nicht so sehr als eine Demokratiemüdigkeit, sondern als einen Mangel an Gelegenheit identifiziere. Darin sollten wir uns finden, dass wir endlich Instrumente und Möglichkeiten schaffen, Stichwort Briefwahl, Stichwort vorgezogene Termine, auch die Frage, dass Zweitwohnungsbesitzer hier wahlberechtigt sein sollten - das könnten und sollten Punkte sein, die wir, wenn wir sie selbst regeln könnten, selbst regeln sollten; und dort, wo es der Änderungen auf Bundesebene, sprich Verfassungsänderungen, bedarf, sollten wir in der Tat gemeinsam über unsere Bundesparteien die entsprechenden Initiativen setzen. Da bin ich eigentlich sehr zuversichtlich, dass wir beim nächsten Mal die Wahlbeteiligung wieder entsprechend anheben können.

 

Ich darf Ihnen seitens der Wiener Volkspartei wirklich auch anbieten, in verschiedenen Materien mitzuarbeiten. Unser Selbstverständnis ist jenes einer konstruktiven Opposition, nicht einer Opposition, die automatisch gegen alles und jedes ist, was seitens der Regierung kommt. Aber das Wesentliche ist - und das ist schon etwas, was in Ihrer Regierungserklärung nur sehr gelegentlich angesprochen wurde -: Alle Vorhaben, die wir haben, die wir vielleicht auch gemeinsam zuwege bringen, sollten mit quantifizierbaren Zielen, mit einem Datum, mit einer Frist versehen sein und sollten sich nicht sozusagen flockig-wolkig in fast luftleerem Raum bewegen. Es muss klare Zielvorgaben geben, bis zu welchem bestimmten Zeitpunkt man dieses und jenes erreichen möchte.

 

Somit komme ich eigentlich schon zum dritten Weihnachtswunsch, neben der Rückkehr zur politischen Arbeit in und für Wien und der Wahrnehmung der politischen und sachlichen Zuständigkeiten. Das ist - durchaus auch als letzte Aufarbeitung des Wahlkampfes, und das ist mir sehr, sehr ernst - der Appell an weite Teile der GRÜNEN, aber auch an kleinere Teile der SPÖ, zu einer demokratischen Grundeinstellung zurückzukehren oder sie auch zu finden.

 

Wir haben gerade im Finale des Wahlkampfes eine Situation erlebt, dass eine Kandidatin von uns, eine von 300, wegen ihrer inhaltlichen Position angegriffen wurde. Das ist soweit okay. Da hat es eine Diskussion gegeben, genauso wie es eine Diskussion darüber gegeben hat, dass vor ein, zwei Wochen ein Mandatar der GRÜNEN eine Position vertreten hat, die weite Teile meiner Partei nicht goutiert haben. Da hat es auch die Diskussion gegeben, das ist auch soweit okay.

 

Was aber nicht okay ist - und das ist der Punkt, auf den ich zu sprechen komme -, ist, dass es eine Aufforderung gibt, diese Kandidatin von der Liste zu nehmen, weil diese Kandidatin mit ihrer Auffassung in einem Gemeinderat nichts zu suchen habe. Also wenn jetzt gegenseitig alle aufgefordert werden, ob sie gewählt sind oder an wählbarer Stelle stehen, nicht auf einer Liste zu stehen, weil sie eine andere Auffassung vertreten, dann kann ich das eigentlich nur - der Begriff stammt nicht von mir, das hat uns einer geschrieben, der bis dato ein Grün-Wähler war - mit Gesinnungsterror bezeichnen. (Beifall bei der ÖVP.) Das ist eine Geisteshaltung, die ich absolut nicht unterstützen kann!

 

Ich finde es auch bemerkenswert, dass an mich Aufforderungen gerichtet wurden, diese Kandidatin von der Liste zu nehmen, nicht nur aus inhaltlichen Gründen, sondern auch aus formaljuridischen Gründen, weil zu diesem Zeitpunkt ich das gar nicht gekonnt hätte, sondern bestenfalls der Zustellungsbevollmächtigte, und der hätte sich dann einer strafbaren Handlung beschuldigt befunden, das war eine Aufforderung zu einer strafbaren Handlung. Frau StRin Wehsely, dass das auch von Ihnen als zuständige Stadträtin gekommen ist, ist bemerkenswert. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Da halte ich es mit Voltaire - das ist im Übrigen kein Elektromechaniker, sondern ein berühmter französischer Aufklärer (GR Franz Ekkamp: Ist aber auch nicht schlecht!) -, und das sollte auch die Maxime unseres politischen und parlamentarischen Handelns sein (GR Franz Ekkamp: Ein Mechaniker ist auch nicht schlecht!), wenn wir Auffassungsunterschiede haben. Das sollte nicht nur in der nächsten Legislaturperiode, sondern grundsätzlich der Fall sein. Voltaire hat gesagt: „Ich bin zwar nicht Ihrer Meinung, aber ich würde bis zum Tode dafür kämpfen, dass Sie das Recht haben, diese Meinung zu sagen." - Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Vorsitzender GR Günther Reiter: Zum Wort gemeldet hat sich Herr Klubvorsitzender GR Oxonitsch. Ich erteile es ihm.

 

GR Christian Oxonitsch (Sozialdemokratische Fraktion des Wiener Landtags und Gemeinderats): Meine sehr verehrten Damen und Herren!

 

Vielleicht ein paar Anmerkungen zum letzten Vorredner gleich zu Beginn, weil ein zentraler Wunsch und der erste Wunsch, den er ans politische Christkind gerichtet hat, der war, dass wir wieder zur Arbeit in und für Wien zurückkehren. Ein Wunsch, über den ich nur sagen kann: Dem kann ich mich vollinhaltlich anschließen! Ein bisschen erinnert es mich aber trotz alledem ans Pfeifen im Wald, wenn dieser Wunsch gerade von der ÖVP formuliert wird, denn in den letzten fünf Jahren ist mir eigentlich diese Arbeit und dieser Einsatz für Wien durchaus abgegangen.

 

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