Gemeinderat, 1. Sitzung vom 18.11.2005, Wörtliches Protokoll -
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Grund-Kulturfertigkeit
des Lesens müsste uns allen ein großes Anliegen sein.
Ein letzter großer Punkt, den ich noch anschneiden
möchte als ein Feld, auf dem wir, glaube ich, einen Rückstand haben und etwas
aufarbeiten müssen, ist der ganze Bereich Demokratie/Partizipation/Kontrolle.
Es ist heute mehrfach das Thema Wahlrecht angesprochen worden. Da bin ich nicht
hinreichend naiv zu glauben, dass sich angesichts der Mehrheitsverhältnisse
etwas ändern könnte. Das schlechte Gewissen sollen Sie haben. Ich bin sehr
froh, dass Sie nicht 50 Prozent der Stimmen erhalten haben; somit fehlt
Ihnen eine gewisse moralische Legitimation. Ich gehe davon aus, dass Sie auch
ohne die ganz kommod leben können, aber wir werden Sie immer wieder daran
erinnern. (Beifall bei der ÖVP.)
In einem Punkt sollten wir uns gemeinsam finden, auch
angesichts der Wahlbeteiligung, die ich im Gegensatz zu vielen anderen nicht so
sehr als eine Demokratiemüdigkeit, sondern als einen Mangel an Gelegenheit
identifiziere. Darin sollten wir uns finden, dass wir endlich Instrumente und
Möglichkeiten schaffen, Stichwort Briefwahl, Stichwort vorgezogene Termine,
auch die Frage, dass Zweitwohnungsbesitzer hier wahlberechtigt sein sollten -
das könnten und sollten Punkte sein, die wir, wenn wir sie selbst regeln
könnten, selbst regeln sollten; und dort, wo es der Änderungen auf Bundesebene,
sprich Verfassungsänderungen, bedarf, sollten wir in der Tat gemeinsam über
unsere Bundesparteien die entsprechenden Initiativen setzen. Da bin ich
eigentlich sehr zuversichtlich, dass wir beim nächsten Mal die Wahlbeteiligung
wieder entsprechend anheben können.
Ich darf Ihnen seitens der Wiener Volkspartei
wirklich auch anbieten, in verschiedenen Materien mitzuarbeiten. Unser
Selbstverständnis ist jenes einer konstruktiven Opposition, nicht einer Opposition,
die automatisch gegen alles und jedes ist, was seitens der Regierung kommt.
Aber das Wesentliche ist - und das ist schon etwas, was in Ihrer
Regierungserklärung nur sehr gelegentlich angesprochen wurde -: Alle Vorhaben,
die wir haben, die wir vielleicht auch gemeinsam zuwege bringen, sollten mit
quantifizierbaren Zielen, mit einem Datum, mit einer Frist versehen sein und
sollten sich nicht sozusagen flockig-wolkig in fast luftleerem Raum bewegen. Es
muss klare Zielvorgaben geben, bis zu welchem bestimmten Zeitpunkt man dieses
und jenes erreichen möchte.
Somit komme ich eigentlich schon zum dritten
Weihnachtswunsch, neben der Rückkehr zur politischen Arbeit in und für Wien und
der Wahrnehmung der politischen und sachlichen Zuständigkeiten. Das ist -
durchaus auch als letzte Aufarbeitung des Wahlkampfes, und das ist mir sehr,
sehr ernst - der Appell an weite Teile der GRÜNEN, aber auch an kleinere Teile
der SPÖ, zu einer demokratischen Grundeinstellung zurückzukehren oder sie auch
zu finden.
Wir haben gerade im Finale des Wahlkampfes eine
Situation erlebt, dass eine Kandidatin von uns, eine von 300, wegen ihrer
inhaltlichen Position angegriffen wurde. Das ist soweit okay. Da hat es eine
Diskussion gegeben, genauso wie es eine Diskussion darüber gegeben hat, dass
vor ein, zwei Wochen ein Mandatar der GRÜNEN eine Position vertreten hat, die
weite Teile meiner Partei nicht goutiert haben. Da hat es auch die Diskussion
gegeben, das ist auch soweit okay.
Was aber nicht okay ist - und das ist der Punkt, auf
den ich zu sprechen komme -, ist, dass es eine Aufforderung gibt, diese
Kandidatin von der Liste zu nehmen, weil diese Kandidatin mit ihrer Auffassung
in einem Gemeinderat nichts zu suchen habe. Also wenn jetzt gegenseitig alle
aufgefordert werden, ob sie gewählt sind oder an wählbarer Stelle stehen, nicht
auf einer Liste zu stehen, weil sie eine andere Auffassung vertreten, dann kann
ich das eigentlich nur - der Begriff stammt nicht von mir, das hat uns einer
geschrieben, der bis dato ein Grün-Wähler war - mit Gesinnungsterror
bezeichnen. (Beifall bei der ÖVP.) Das ist eine Geisteshaltung, die ich
absolut nicht unterstützen kann!
Ich finde es auch bemerkenswert, dass an mich
Aufforderungen gerichtet wurden, diese Kandidatin von der Liste zu nehmen, nicht
nur aus inhaltlichen Gründen, sondern auch aus formaljuridischen Gründen, weil
zu diesem Zeitpunkt ich das gar nicht gekonnt hätte, sondern bestenfalls der
Zustellungsbevollmächtigte, und der hätte sich dann einer strafbaren Handlung
beschuldigt befunden, das war eine Aufforderung zu einer strafbaren Handlung.
Frau StRin Wehsely, dass das auch von Ihnen als zuständige Stadträtin gekommen
ist, ist bemerkenswert. (Beifall bei der ÖVP.)
Da halte ich es mit Voltaire - das ist im Übrigen
kein Elektromechaniker, sondern ein berühmter französischer Aufklärer (GR
Franz Ekkamp: Ist aber auch nicht schlecht!) -, und das sollte auch die
Maxime unseres politischen und parlamentarischen Handelns sein (GR Franz
Ekkamp: Ein Mechaniker ist auch nicht schlecht!), wenn wir
Auffassungsunterschiede haben. Das sollte nicht nur in der nächsten
Legislaturperiode, sondern grundsätzlich der Fall sein. Voltaire hat gesagt:
„Ich bin zwar nicht Ihrer Meinung, aber ich würde bis zum Tode dafür kämpfen,
dass Sie das Recht haben, diese Meinung zu sagen." - Danke schön. (Beifall
bei der ÖVP.)
Vorsitzender GR Günther Reiter: Zum
Wort gemeldet hat sich Herr Klubvorsitzender GR Oxonitsch. Ich erteile es ihm.
GR Christian Oxonitsch (Sozialdemokratische
Fraktion des Wiener Landtags und Gemeinderats): Meine sehr verehrten Damen
und Herren!
Vielleicht ein paar Anmerkungen zum letzten Vorredner
gleich zu Beginn, weil ein zentraler Wunsch und der erste Wunsch, den er ans
politische Christkind gerichtet hat, der war, dass wir wieder zur Arbeit in und
für Wien zurückkehren. Ein Wunsch, über den ich nur sagen kann: Dem kann ich
mich vollinhaltlich anschließen! Ein bisschen erinnert es mich aber trotz
alledem ans Pfeifen im Wald, wenn dieser Wunsch gerade von der ÖVP formuliert
wird, denn in den letzten fünf Jahren ist mir eigentlich diese Arbeit und
dieser Einsatz für Wien durchaus abgegangen.
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