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Gemeinderat, 25. Sitzung vom 06.03.2003, Wörtliches Protokoll  -  Seite 27 von 91

 

Herren, ist deswegen von Bedeutung, weil ja das große Thema, das damit angesprochen wird, das der Daseinsvorsorge ist. Ein Thema, das zunehmend auch in der Europäischen Union immer mehr an Raum gewinnt, immer mehr an Position gewinnt, und das nicht von ungefähr.

 

Und wir sollten nicht verkennen, dass es bei der Frage von GATS auch um die Frage des Föderalismus geht, auch um die Frage der Selbstständigkeit, der Selbstverwaltung der Gemeinden, alles Grundsätze unserer Bundesverfassung, und dass das GATS-Abkommen, wenn es so umgesetzt wird, massiv in die Selbstgestaltungsmöglichkeiten der Städte und Gemeinden eingreift. Das kann einer Stadt, das kann einer Gemeinde, die in diesem Maße der Daseinsvorsorge verpflichtet ist, doch nicht egal sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.

 

Es kommt noch dazu, dass Österreich, das ja dem WTO-Abkommen und damit auch dem GATS-Abkommen 1995 beigetreten ist – wie alle anderen, füge ich hier hinzu –, keinen Erfüllungsvorbehalt abgegeben hat, sodass die Regelungen des GATS unmittelbar anwendbares zwingendes Recht sind. Sie schieben sogar weg die Verbindlichkeiten, die sich aus den EU-Abkommen ergeben. Das ist unmittelbar Exekutivrecht, und daher ist natürlich jede nachträgliche Veränderung auf irgendeiner Ebene innerstaatlich gar nicht mehr möglich.

 

Ich komme zu dem Punkt, der damit schon angesprochen ist. Man muss, wenn man korrekt mit GATS umgeht, auch dazusagen, dass Österreich bereits 1995 Verpflichtungen eingegangen ist, auch wenn es 1995 im Wesentlichen um die Liberalisierungen auf dem Weg der Finanzdienstleistungen, aber auch etwa der Leistungen im Bereich der Telekommunikation gegangen ist. Wir sind aber damals,1995, auch Verpflichtungen eingegangen im Marktzugang und in der Gleichbehandlung von In- und Ausländern auf den Sektoren Ausbildung und Erziehung, Abwasser, Abfallentsorgung, Hygiene und Reinigungsdienst sowie im Sektor Gesundheit und Soziale Dienste, Spitäler ausgenommen. Das heißt, wir beginnen jetzt nicht eine Diskussion mit der Stunde Null, sondern wir beginnen eine differenzierte Diskussion auf der einen Seite in Bereichen, die jetzt völlig aufgemacht werden sollen, also wo wir an sich schon Verpflichtungen eingegangen sind, und in der Eröffnung von neuen Bereichen, wo bis dahin niemand in Erwägung gezogen hat, hier in eine Diskussion einzutreten.

 

Und das ist, glaube ich, der entscheidende Punkt. Im Gegensatz zu der früheren Phase geht es jetzt nicht um einen differenzierten Zugang aus der Sicht der Welthandelsorganisation, sondern es soll ja bis zum Ende 2004 ein Gesamtpaket, Handel und Dienstleistungen, auch unter Einbeziehung eben der Wechselbeziehungen mit den Entwicklungsländern, hergestellt werden. Da wird für differenzierte Unterscheidungen relativ wenig Platz sein.

 

Und daher ist es so wichtig, diesen Punkt von allem Anfang an mit dieser Bedeutung zu unterstreichen. Es ist die Sorge sehr groß, dass er in irgendeiner Verhandlungsphase einfach verloren geht. Es geht jetzt um den umfassenden und Inhaltlich weiterreichenden Liberalisierungsschritt, der auf diesem Gebiet überhaupt weltweit getan werden soll. Und es ist klar, dass davon vor allem auch Dienstleistungen betroffen sind, die derzeit von der öffentlichen Struktur erbracht werden, also insbesondere in Österreich von den Gebietskörperschaften der Städte, Gemeinden und Länder.

 

Und damit spitzt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt für einzelne Mitgliedsstaaten – nicht für alle – die Diskussion über GATS zu mit der Auseinandersetzung der Frage: Was ist uns die Daseinsvorsorge wert? Wie wichtig ist uns dieser Bereich, öffentliche Leistungen sicherzustellen? Und da geht es neben den schon erwähnten Bereichen natürlich auch um die Altersvorsorge, um die Kindervorsorge. Ich komme zu einzelnen Beispielen.

 

Und man muss sich damit auch die Frage stellen: Ja, was ist denn eigentlich die besondere Bedeutung der öffentlichen Versorgung? Warum gibt es denn einzelne – auch in der politischen Bewertung – Positionen, die so stark dafür eintreten?

 

Der große gemeinsame und internationale Nenner, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist die Annahme – das ist sozusagen die Grundannahme –, dass bei einem Wegfall der staatlichen Erbringung solcher Leistungen entweder die Endversorgung überhaupt nicht möglich ist, nicht gewährleistet ist, oder zumindest die Qualität der Versorgung durch ein mögliches Marktversagen gefährdet wäre. Das ist jener Ausschnitt und nicht beliebig keine Privatisierung, das ist der Ausschnitt, um den es geht.

 

Und man muss noch etwas Zweites hinzufügen. Die Verhandlungen über GATS finden in einem Zeitraum statt, wo es im europäischen Wirtschaftsraum einen enormen Megatrend gibt, der dahin geht, zu sagen: Wir wollen schlanke öffentliche Haushalte, weil wir dafür weniger Steueraufkommen brauchen, und wir privatisieren dafür, dass wir uns damit Ausgaben ersparen. Das heißt, das GATS-Abkommen steht in einem Zusammenhang mit einem großen europäischen Megatrend: Im Zweifel öffentliche Leistungen abzugeben an Private, um damit Wirtschaftswachstum herzustellen – positiv –, damit auch unter dem Gesichtspunkt, Steuern einzusparen – auch positiv –, aber um den Preis, dass damit öffentliche Leistungen unter Umständen sehr rasch und ohne viel nachzudenken abgetreten werden.

 

Die Liberalisierung und Privatisierung – das möchte ich auch mit allem Nachdruck persönlich und namens meiner Fraktion sagen – schafft natürlich Chancen für privates Wirtschaftswachstum. Allerdings – und das muss man gleichzeitig immer dazusagen – ohne die Garantie sozialer Fairness und mit dem hohen Risiko für die Versorgungssicherheit. Das ist das, wo man die Entscheidung treffen muss.

 

Und Marktwirtschaft, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nicht aus sich heraus sozial, sondern es muss dazukommen die Politik, die dann die Aufgabe hat, für die Mechanismen sozialer Korrektur zu sorgen. Und das ist sozusagen die Ausgangslage, von der aus man sich mit einer Reihe von Entwicklungen

 

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