Gemeinderat,
20. Sitzung vom 25.10.2002, Wörtliches Protokoll - Seite 24 von 106
es genau aus. Sie brauchen es ja nur zu lesen.
Das brauche ich Ihnen ja nicht zu erzählen: Lesen! Es
könnte sein, dass da schon ein Zusammenhang besteht. Das ist eine ganz einfache
Geschichte.
Die Schule hat ein wahnsinniges Problem und mit dem
müssen wir uns befassen: Auf der einen Seite hat sie die Aufgabe, dass Lesen
Freude machen soll, also sie soll quasi zur Freude, zum Spaß, zum Gerne-Lesen
erziehen, auf der anderen Seite sollen dieselben Lehrer einen Literaturkanon
erfüllen und abhaken, wo ein riesengroßer Teil der Bücher die Jugendlichen aber
überhaupt nicht interessiert. Sie haben meine Generation in der Regel schon
nicht interessiert. Das stößt nicht auf die Interessen und Bedürfnisse der
Jugendlichen. Noch dazu können sie sich nichts aussuchen und da haben wir ein
großes Problem und da muss man ansetzen.
Ganz im Gegensatz zu Ihnen bin ich der Meinung, dass
die Abteilung 2 im Stadtschulrat das sieht, das erkennt, hier ansetzen
möchte und auch etwas vorlegen wird. Damit werden wir uns dann ausführlich
befassen können und da hoffe ich, dass es auch eine große Zustimmung geben
wird.
Ich möchte für heute Nachmittag ankündigend sagen:
Die GRÜNEN sind der Meinung, Wien muss nicht nur etwas tun, Wien kann auch
etwas tun. Wir fordern daher eine Alphabetisierungskampagne, die sich an die
richtet, die so gar nicht bis fast gar nicht lesen können - und zwar Wurscht,
ob sie noch in die Schule gehen oder bereits erwachsen sind -, und Wien sollte
eine Lesekampagne machen.
Ich hoffe, dass es für meine Anträge heute Nachmittag
in diesem Haus eine große Zustimmung geben wird. - Danke schön. (Beifall bei
den GRÜNEN.)
Vorsitzender GR Günther Reiter: Herr GR
Dr Salcher hat sich zum Wort gemeldet. - Bitte schön.
GR
Dr Andreas Salcher (ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt Wien):
Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren!
Frau Kollegin Malyar hat ja vorhin gesagt, was man
alles auch tun kann, wenn einem das Lesen vergeht. Also, ich gebe Ihnen jetzt
einmal ein gutes Beispiel, wie man Leselust absolut vertreiben kann.
Hier gibt es die wirklich gute Aktion der Stadt Wien,
60 000 Bücher, glaube ich, "Ewigkeitsgasse" von Frederic
Morton (GRin Martina Malyar: 100 000!), also 100 000 zu verschenken.
Ein wirklich sehr gutes Buch, wie wir alle wissen. So und jetzt kriegt das der
Wiener. Ich nehme einmal an, die Zielgruppen - mir hat es meine Mutter gegeben
- sind Menschen, die Literatur vielleicht nicht so schnell lesen. Das ist ja
doch ein ernsthaftes Buch. Gut. Der Wiener freut sich, schlägt es auf und
findet: Frederic Morton "Ewigkeitsgasse". Er freut sich, blättert
weiter und was sieht er? - Es lacht ihm der Herr Bürgermeister entgegen. (Heiterkeit
bei der ÖVP und bei der FPÖ.) Er blättert weiter und es lacht ihm die Frau
Grete Laska entgegen. Er blättert weiter und es lacht ihm der Herr Dr Rieder
entgegen. Als Kulturpolitiker frage ich jetzt: Wo ist da der einzig zuständige
Stadtrat, nämlich der Mailath-Pokorny? - Nein, der kommt nicht, sondern es
kommt Frederic Morton "Ewigkeitsgasse". Dann blättert er wieder
weiter und es kommt Frederic Morton "Ewigkeitsgasse". (Weitere
Heiterkeit bei der ÖVP und bei der FPÖ.)
Den Wert, den Sie diesem großen Schriftsteller zusprechen,
sieht man übrigens daran, dass Frederic Morton hinten am Ende des Buches
abgebildet ist.
Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist wirklich parteipolitische
Propaganda und genau die Art und Weise, wie man verhindern kann, dass die Leute
mehr Lust am Lesen kriegen. (Aufregung bei der SPÖ. - Beifall bei der ÖVP.)
Ein zweites Beispiel dazu, wie man es nicht machen
soll. Der Kollege RUDOLPH hat das Thema schon angesprochen, nämlich die
Schummelzettel.
Ich zitiere hier nur die Frau Brandsteidl im
Original: "Denn das, was kritisiert wird, ist in Wahrheit ein modernes,
richtungsweisendes, pädagogisches Konzept, das gemeinsam mit Lehrern,
Direktoren sowie Landesschulinspektoren meines Hauses erarbeitet wurde."
Ich werde Ihnen jetzt einmal sagen, wie dieses richtungsweisende Konzept ist. Sie
geht da nämlich ins Detail, wie diese Schummelzettel ausschauen sollen. Es ist
aber noch viel lustiger, als es Kollege RUDOLPH gesagt hat, weil in der
Broschüre nämlich klar und deutlich definiert ist, wie diese Schummelzettel
beschaffen zu sein haben. Einerseits ist die Größe klar vordefiniert - fünf mal
fünf Zentimeter, einseitig beschrieben -, andererseits müsse dieser Lehrbehelf
auf der Rückseite vom Lehrer unterschrieben und somit genehmigt werden. Ob
Stempelmarkenpflichtigkeit oder Stempel, darauf wird im Detail nicht
eingegangen, aber es ist wirklich eine gute Vorbereitung für den Wiener
Staatsbürger, was da alles noch auf ihn zukommt. (Heiterkeit des GR Gerhard
Pfeiffer. - Beifall bei der ÖVP.)
Doch der Hintergrund der aktuellen Debatte ist im Grund
ein anderer, meint Frau Brandsteidl, denn die Frau Bildungsministerin ist einem
System der Leistungsfeststellung verhaftet, das auf die frühen Siebzigerjahre
zurückgeht. Na, Gott sei Dank haben wir ja den Hort der sozialistischen
Bildungspolitik hier im Wiener Stadtschulrat!
Wenn man diesem aufklärerischen Gedankengut folgt,
dann müsste man sagen, in der berühmten Maturaschule Nawarski waren ja Pioniere
des sozialistischen Bildungssystems! Da sind ja leider Gottes dann einige
Beamten im Stadtschulrat verurteilt worden, weil überall auf der ganzen Welt
nämlich vorgetäuschte Leistungen bestraft werden. Aber nein, das waren Pioniere
der neuen Bildungspolitik! Was haben Sie gemacht? - Sie haben sie bestraft! Die
gehören rehabilitiert und ausgezeichnet, weil die schon erkannt haben, was die
neue Bildungspolitik ist! (Heiterkeit und Beifall bei der ÖVP. - GRin Martina
Malyar: Sie schämen sich aber nicht, dass Sie jetzt einen
A 4-Schummelzettel mithaben!) Ja, der ist aber größer und ich bekenne
mich sogar dazu, wissen Sie. (Heiterkeit bei der SPÖ.)
Aber Frau Kollegin, ich sage Ihnen eines: Wir können gerne
einführen, dass alle Abgeordneten hier ohne Zettel reden. Da habe ich kein
Problem damit! (Beifall bei der
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