1907 – 2001

Als wir jung waren, wussten wir auf alle schwierigen Fragen die Antwort. Heute ist das einzige, was wir haben, schwierige Fragen.

Marie Jahoda war eine Pionierin der Sozialforschung und engagierte sich seit ihrer Jugend für die sozialistische Arbeiterinnenbewegung. im Zentrum ihrer sozialpsychologischen Beobachtungen – wie in der Studie Die Arbeitslosen von Marienthal – standen die jeweils konkreten Lebensverhältnisse und ihre Auswirkungen auf die Menschen.

Bild © Lotte Bailyn

Marie Jahoda wurde 1907 in einer bürgerlichen, assimilierten jüdischen Familie in Wien geboren. Bereits als Schülerin engagierte sie sich im Verband Sozialistischer Mittelschüler. Nach ihrem Abitur 1926 machte sie die Ausbildung zur Volksschullehrerin und studierte gleichzeitig Psychologie. 1932 promovierte sie mit 25 Jahren als jüngste Österreicherin.

Mit 19 heiratete sie Paul Lazarsfeld, den sie im Rahmen ihrer politischen Aktivitäten kennengelernt hatte, 1930 kam ihre Tochter zur Welt. Gemeinsam mit ihrem Mann und Hans Zeisel führte sie 1932 die sozialpsychologische Studie Die Arbeitslosen von Marienthal durch, die sich mit den Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit, auf betroffene Arbeiter*innen, befasste. Die Ergebnisse der Studie widerlegten die sozialrevolutionären Hoffnungen, dass durch zunehmende Verelendung die Menschen politisch mobilisiert würden („Verelendungstheorie“). Aufgrund der innovativen Forschungsmethoden und der sozialpsychologischen Beobachtungen wurde die Studie international berühmt.

Während des Austrofaschismus war Marie Jahoda bei den Revolutionären Sozialisten Österreichs im Untergrund aktiv, 1936 wurde sie wegen „sozialistischer Umtriebe“ verhaftet. Durch internationale Interventionen gelang ihre vorzeitige Freilassung, sie musste Österreich verlassen und floh nach England. Dort setzte sie ihre sozialpsychologischen Forschungen sowie ihr Engagement gegen den Nationalsozialismus fort. Nach dem Krieg übersiedelte sie in die USA, wo sie nach acht Jahren ihre Tochter erstmals wiedersah. Sie forschte u.a. über die Wurzeln des Antisemitismus und lehrte an der Universität New York Sozialpsychologie. 1958 übersiedelte sie nach England, wo sie 1965 Professorin für Psychologie und Sozialwissenschaften an der Sussex University wurde. Marie Jahoda starb 2001 in England.

Publikationen (Auswahl)

Jahoda, Marie; Lazarsfeld, Paul F.; Zeisel, Hans: Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit. Mit einem Anhang zur Geschichte der Soziographie, Frankfurt/M. 1933/1997

Jahoda, Marie (hg. von Fleck, Christian): Sozialpsychologie der Politik und Kultur. Ausgewählte

Jahoda, Marie (hg. von Engler, Steffani; Hasenjürgen, Brigitte): ‚Ich habe die Welt nicht verändert‘. Lebenserinnerungen einer Pionierin der Sozialforschung, Frankfurt/M. 1997

Auszeichnungen (Auswahl)

1993: Preis der Stadt Wien für Geisteswissenschaften

1993: Großes Silbernes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich

1997: Bruno-Kreisky-Preis für das Lebenswerk

1998: Ehrendoktorwürde der Johannes Kepler Universität in Linz und der Universität Wien

2016: Büste im Arkadenhof der Universität Wien

Quellen (Auswahl)

Müller, Reinhard (Hg.): Marie Jahoda. 1907–2001. Pionierin der Sozialforschung. Katalog zur Ausstellung des Archivs für die Geschichte der Soziologie in Österreich, Graz 2002

Kreisky, Eva: Marie Jahoda: Eine Laudatio, in: L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft, 10. Jg, Heft 2, Wien 1999