1.3 Pionierinnen des Wiener Gemeinderats

Am 5. März 1918 berichtet die Zeitung „das interessant Blatt“: „Es gibt jetzt eine Frau Gemeinderat, die es wirklich ist, nicht bloß den Titel ihres Mannes führt. Zwölf Frauen ziehen in den Gemeinderat ein und werden über das Wohl der Stadt mitberaten. Die Frau, durch alle Zeiten der Geschichte, politisch entrechtet, hat jetzt volle Gleichberechtigung mit dem Manne erworben. Die Gerechtigkeit dieser Neuordnung ist vollständig klar, es war ein Überbleibsel barbarischer Zeiten, die Frau im öffentlichen Leben tief unter dem Manne zu stellen.“
Quelle Zitat: Das interessante Blatt Nr. 49, 5.12.1918, S. 7/ANNO/Österreichische Nationalbibliothek
1918 wurde in Österreich das aktive und passive Wahlrecht für Frauen auf bundesstaatlicher und kommunaler Ebene eingeführt, das für Männer seit 1907 galt. Nach langjährigen Bestrebungen der Frauenbewegung konnten Frauen in den politischen Parteien und der Politik endlich aktive Rollen übernehmen.
Frauen im provisorischen Gemeinderat
Der provisorische Gemeinderat, der als Übergangslösung vom 3. Dezember 1918 bis zum 22. Mai 1919 tagte, war damit beauftragt eine neue Wiener Gemeindeverfassung und Wahlordnung auszuarbeiten. Die Mitglieder waren noch nicht durch demokratische Wahlen legitimiert, sondern wurden von ihren jeweiligen Parteien entsandt.
Erstmals waren zwölf Frauen von 165 Abgeordneten vertreten: Anna Boschek, Hildegard Burjan, Emmy Freundlich, Alma Motzko, Anitta Müller, Adelheid Popp, Gabriele Proft, Aloisia Schirmer, Marie Schwarz, Amalie Seidel, Anna Strobl und Gabriele Walter.
Die ersten Gemeinderätinnen
Im Vorfeld der eigentlichen Gemeinderatswahlen informierten Tageszeitungen und Frauenvereine über den Ablauf des Wahlgangs. Amtlich normierte Stimmzettel gab es nicht. Abgestimmt wurde meist auf Stimmzetteln, die aus den jeweiligen Parteizeitungen ausgeschnitten werden konnten und zur Wahl mitgebracht wurden.
Die Gemeinderatswahlen vom 4.5.1919 waren der Beginn des Roten Wiens. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei erlangte die absolute Mehrheit, die sie bis 1934 hielt. 22 der 165 Mandate wurden mit Frauen besetzt: 16 Abgeordnete gehörten der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei an:
Luise Appelfeld, Adele Bartisal, Marie Bock, Anna Boschek, Marie Deutsch-Kramer, Rudolfine Fleischner, Emmy Freundlich, Aline Furtmüller, Leopoldine Glöckel, Käthe Königstetter, Gisela Laferl, Amalie Pölzer, Adelheid Popp, Gabriele Proft, Amalie Seidel und Marie Vejvoda.
Sechs Abgeordnete der christlich-sozialen Partei: Sophie Gärtner, Josefine Kurzbauer, Alma Motzko, Anna Strobl, Gabriele Walder, Marie Wielsch.
Die Gemeinderätinnen hatten unterschiedlichste Biografien, beispielweise war Boschek Gewerkschafterin, Seidel Arbeiterin, Appelfeld Hausfrau, Furtmüller Lehrerin und Kurzbauer Sozialarbeiterin. Allen war jedoch gemein, dass sie sich für Frauenrechte, Bildung und soziale Gerechtigkeit für Frauen einsetzten.
Der heutige Gemeinderat hat 100 Mitglieder, die zugleich Abgeordnete des Wiener Landtages sind und für fünf Jahre gewählt werden. 2020 lag der Frauenanteil bei 42 %.