4.4 Bildungsstand und Bildungserwerb
Zuwanderung wird im öffentlichen Diskurs sehr oft mit Herausforderungen und Problemen im Bildungsbereich in Verbindung gebracht. Zweifelsohne stellt der große Zuwachs an Kindern, die im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und im Zuge von Familienzusammenführungen nach Wien kamen, Wiener Schulen vor große Herausforderungen.
Das Verstehen der Unterrichtssprache ist ein wichtiger Faktor für einen erfolgreichen Bildungsweg. Eine große Zahl an Schüler*innen, die die Unterrichtssprache noch nicht hinreichend gut verstehen oder sprechen, stellt für Pädagog*innen im Schulalltag große zusätzliche Herausforderungen und führt zu einem hohen Bedarf an Unterstützungsmaßnahmen. Im Schuljahr 2022/2023 sprachen 59 % der Schüler*innen auf der Primarstufe in Wien im Alltag neben Deutsch auch andere Sprachen, 39 % der Schüler*innen sprachen im Alltag nur Deutsch und 2 % der Schüler*innen nur andere Sprachen als Deutsch.
Im Schuljahr 2024/2025 war der Anteil an außerordentlichen Schüler*innen unter den Wiener Schüler*innen in der ersten Klasse Volksschule mit 44,6 % besonders hoch. Schüler*innen, die bei der Feststellung der Kompetenzen in der deutschen Sprache das Ergebnis „mangelhaft“ oder „ungenügend“ erzielen, werden für maximal vier Semester als außerordentliche Schüler*innen eingestuft und erhalten in dieser Zeit in der Schule eine intensive Deutschförderung. Darüber hinaus setzt die Stadt Wien in Reaktion auf den Anstieg der Zahl an Schüler*innen mit mangelnden Deutschkenntnissen eine große Zahl an außerschulischen Maßnahmen um, die darauf abzielen Schüler*innen mit mangelnden Deutschkenntnissen bestmöglich dabei zu unterstützen, die deutsche Sprache zu erlernen (siehe 4.5).
Trotz zahlreicher Herausforderungen ist der Anteil der Schüler*innen, die von der Volksschule in die AHS-Unterstufe wechseln, in Wien seit vielen Jahren im Vergleich zu allen anderen Bundesländern hoch. Wie der Nationale Bildungsbericht 2024 zeigt, wechselten seit dem Schuljahr 2012/2013 bis zum Schuljahr 2022/2023 stets mehr als die Hälfte der Wiener Volksschulkinder in eine AHS-Unterstufe – zuletzt mit steigender Tendenz (56 % der Wiener Volkschüler*innen mit Beginn des Schuljahres 2022/2023). In keinem anderen Bundesland Österreichs ist im Beobachtungszeitraum 2012/2013 bis 2022/2023 der Anteil der Übertritte von der Volksschule in die AHS-Unterstufe so hoch und der Anteil der Übertritte von der Volksschule in eine Hauptschule/Neue Mittelschule oder Mittelschule so niedrig wie in Wien.
Im Jahr 2022 verfügten 20 % der Männer und auch 20 % der Frauen in der Gruppe der 25- bis 64-Jährigen entweder über einen AHS-Abschluss oder BHS-/Kolleg-Abschluss – die im Vergleich zu anderen Bundesländern jeweils höchsten Anteile.
Insgesamt ist der Bildungsstand der Wiener Bevölkerung in den letzten Jahren deutlich gestiegen. So hat sich der Anteil an Akademiker*innen in der Wiener Bevölkerung von 2001 bis 2022 bei Frauen mehr als verdoppelt (von 15 % auf 33 %) und ist unter Männern von 15 % auf 27 % gewachsen.
Auch der Integrations- und Diversitätsmonitor 2023 zeigt, dass der Anteil an Wiener*innen, die über einen Matura- oder darüber hinausgehenden Bildungsabschluss verfügen, in der Wiener Gesamtbevölkerung von 2007 bis 2022 deutlich größer geworden ist.
Diese Ergebnisse entsprechen einem europaweit beobachtbaren Trend hin zu einem gestiegenen Bildungsstand von Migrant*innen in der EU. Seit mehreren Jahren steigt der Bildungsstand von Migrant*innen in der EU – sowohl von EU-Bürger*innen, die innerhalb der Europäischen Union migrieren, als auch von Drittstaatsangehörigen, die in ein EU-Land ziehen. Im Jahr 2024 verfügte mehr als ein Drittel (35,2 %) der innerhalb der Europäischen Union migrierenden EU-Bürger*innen über einen tertiären Bildungsabschluss, unter den in die EU zugewanderten Bürger*innen aus Drittstaaten waren es 32,1 %.
Dieser gesamtgesellschaftlich gestiegene Bildungsstand zeigt sich auch bei der sogenannten Bildungsherkunft von Schulkindern in der Primarstufe in Österreich. Wie der Nationale Bildungsbericht 2024 hervorhebt, hat in der Primarstufe mittlerweile jedes dritte Kind mit österreichischer Staatsangehörigkeit mindestens ein Elternteil mit tertiärem Bildungsabschluss (Universität, Fachhochschule, Pädagogische Hochschule, Akademie) – bei Kindern mit Migrationshintergrund hat jedes fünfte Kind mindestens ein Elternteil mit tertiärem Bildungsabschluss.
Trotz dieser deutlich positiven Entwicklungen hinsichtlich des Bildungsstands der Wiener*innen mit und ohne Migrationshintergrund ist es gleichzeitig weiterhin so, dass innerhalb der Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die im Bildungssystem weniger erfolgreich vorankommen, der Anteil an Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund noch immer sehr hoch ist. Eine 2025 publizierte Studie zeigt, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund in erster sowie in zweiter Generation in Österreich weit häufiger ihren Bildungsweg frühzeitig abbrechen und somit zur Gruppe der sogenannten Frühen Ausbildungsabbrecher*innen zählen (15- bis 24-Jährige, die nicht mehr in Bildung oder Ausbildung sind und als höchsten Bildungsabschluss einen Pflichtschulabschluss haben). Insgesamt zählten im Jahr 2021 12,3 % der 15- bis 24-Jährigen in Österreich zur Gruppe der Frühen Ausbildungsabbrecher*innen (rund 114.000 Personen). Unter Jugendlichen ohne Migrationshintergrund zählten 7,9 % zur Gruppe der Frühen Ausbildungsabbrecher*innen, während der Anteil bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund in erster Generation mit 27,3 % mehr als dreimal so hoch war. Unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund in zweiter Generation zählten 2021 österreichweit 15,6 % zur Gruppe der Frühen Ausbildungsabbrecher*innen – ein im Vergleich zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund rund doppelt so hoher Anteil.
Die Wahrscheinlichkeit das Bildungssystem frühzeitig zu verlassen, variiert in Österreich stark von Region zu Region. Beachtenswert ist, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund im städtischen Raum weniger oft das Bildungssystem frühzeitig verlassen als Jugendliche mit Migrationshintergrund im ländlichen Raum. In Wien brechen Jugendliche mit Migrationshintergrund in erster Generation weit weniger oft ihren Bildungsweg frühzeitig ab als Jugendliche mit Migrationshintergrund in erster Generation in anderen Städten und Regionen Österreichs. Ein Vergleich von Bildungsdaten aus Städten und Regionen in Österreich zeigt, dass nur im Südburgenland der Anteil jener Jugendlichen mit Migrationshintergrund in erster Generation, die ihren Bildungsweg frühzeitig abbrechen, niedriger ist als in Wien. In allen anderen 33 NUTS-3-Regionen Österreichs ist dieser Anteil höher als in Wien.