3.3 Schwerpunkt „Bekämpfung von Menschhandel“
Wien, als zentral gelegene europäische Stadt, kommt in der Bekämpfung des Menschenhandels eine besondere Rolle zu. Am 16. Dezember 2015 beschloss der Wiener Gemeinderat daher einen Resolutionsantrag zur Mitwirkung an der Prüfung und etwaigen Umsetzung der Empfehlungen des GRETA-Länderberichts.
„GRETA“ (Group of Experts on Action against Trafficking in Human Beings) ist die Gruppe unabhängiger Expert*innen, welche die Umsetzung der Konvention des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels überwacht.
Von Menschenhandel betroffene Personen sind Migrant*innen, die durch Gewalt, Drohung, Ausnutzung ihrer starken Abhängigkeit oder durch Täuschung nach Österreich verschleppt oder innerhalb von Österreich gehandelt werden, um durch Prostitution, in der Ehe, im Haushalt oder in anderen Tätigkeiten und Dienstleistungsverhältnissen ausgebeutet zu werden.
Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von Menschenhandel
#Basierend auf dem Beschluss des Gemeinderates hat das Menschenrechtsbüro eine Arbeitsgruppe etabliert, welche die Umsetzung der GRETA-Empfehlungen für die Stadt Wien zum Ziel hat.
Im Berichtszeitraum fanden fünf Sitzungen der Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von Menschenhandel statt.
Thema der Arbeitsgruppe im Jahr 2020
Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Sexdienstleister*innen und Überschneidung mit dem Thema Menschenhandel
Im Rahmen der Arbeitsgruppe des Menschenrechtsbüros zur Bekämpfung von Menschenhandel fanden am 22. und 25. Juni 2020 zwei Besprechungen unter Miteinbeziehung der Stadt Wien – Wahlen und verschiedene Rechtsangelegenheiten, der Landespolizeidirektion Wien und dem Beratungszentrum für Sexarbeiterinnen der Volkshilfe Wien SOPH!E sowie LEFÖTAMPEP statt, die sich mit den Auswirkungen der durch Covid-19 bedingten Ausgangsbeschränkungen und Betretungsverbote von Bordellen für Sexdienstleister*innen und der Überschneidung mit dem Thema Menschenhandel befassten.
Die Covid-19-Pandemie verschärfte die prekäre Lage von Sexdienstleister*innen, denen in Folge der Schließungen der Bordelle keine Möglichkeiten verblieben, ihrer Arbeit nachzugehen. Viele Sexdienstleister*innen waren bzw. sind von Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit betroffen, andere kamen während der Pandemiezeiten in Bordellen unter, was Abhängigkeiten verstärkte. Weiters verlagerte sich die Tätigkeit teilweise in die Illegalität (insbesondere Wohnungsprostitution), was etwa zu einer Steigerung des Gewaltpotenzials führte.
Die folgenden Lösungsansätze wurden in der Arbeitsgruppe erarbeitet:
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Klare Regelungen und legale Arbeitsmöglichkeiten, um Abhängigkeiten zu minimieren, sowie den Übergang aus der Illegalität zu unterstützen
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Schaffung sicherer Räume und angemessener Infrastruktur für den Straßenstrich
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Förderung von selbstbestimmten Arbeitsmöglichkeiten für Prostituierte, um Abhängigkeiten zu verringern
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Maßnahmen, um die Abwälzung der Kosten für Unterkünfte in Bordellen auf Frauen, die ggf. zu unverhältnismäßigen Schulden und neuen Abhängigkeiten führen, zu vermeiden
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Aufstockung von Soforthilfepaketen, um Abhängigkeiten und prekäre Situationen zu reduzieren Stigmatisierung von Sexdienstleister*innen entgegenwirken
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Mehr Aufmerksamkeit für das Thema „Männer in der Sexarbeit“ schaffen, da viele in prekären Situationen leben und illegal arbeiten; Schaffung einer Interessenvertretung für Männer in der Sexarbeit sowie von Informationen für Freier
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Regelmäßiger Austausch (mindestens zweimal jährlich), koordiniert durch die Stadt Wien unter Beteiligung aller relevanten städtischen Stellen, NGOs und der LPD-Wien
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von Menschenhandel (Stand: 31.12.2023) |
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Stadt Wien – Menschenrechtsbüro |
Stadt Wien – Gesundheitsdienst, Sozialberatungsstelle für Sexuelle Gesundheit |
Stadt Wien – Kinder und Jugendliche |
Stadt Wien – Frauenservice |
Wiener Antidiskriminierungsstelle für LGBTIQ-Angelegenheiten (WASt) |
Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte |
LEFÖ-IBF, Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel |
MEN VIA (Opferschutzeinrichtung für von Menschenhandel betroffene Männer) |
EU-Donauraumstrategie – Prioritätsbereich 10 |
Caritas |
Themen der Arbeitsgruppe im Jahr 2021
Im Jahr 2021 setzte die Arbeitsgruppe den intensiven Austausch zu den Auswirkungen der durch Covid-19 bedingten Ausgangsbeschränkungen und Betretungsverbote für Sexdienstleister*innen fort. Dabei wurden insbesondere die Überschneidungen mit dem Thema Menschenhandel diskutiert. Die Pandemie führte zu einer deutlichen Verschärfung der Situation für Sexdienstleister*innen.
Es gab ebenfalls einen Austausch zum Thema „24-Stunden-Pflege“. Diese Form der Betreuung, bei der Pflegekräfte rund um die Uhr in den Haushalten der zu Pflegenden leben, weist erhebliche Schnittstellen mit dem Thema Menschenhandel auf. Die Arbeitsgruppe befasste sich mit den Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte, die oft aus osteuropäischen Ländern stammen, und stellte fest, dass viele von ihnen unter ausbeuterischen Bedingungen tätig sind.
Die Arbeitsgruppe beschäftigte sich außerdem mit der Planung und Umsetzung der Prüfung der Situation von Trans*personen in sexuellen Ausbeutungssituationen als Teil des aktuellen Nationalen Aktionsplans (NAP) gegen Menschenhandel. Ziel ist es, das Thema verstärkt sichtbar zu machen und spezifische Schutzmaßnahmen für diese besonders gefährdete Gruppe zu entwickeln (siehe unter Punkt B).
Themen der Arbeitsgruppe im Jahr 2022
Im Jahr 2022 befasste sich die Arbeitsgruppe insbesondere mit den Herausforderungen, die durch den Krieg in der Ukraine entstanden und der Prävention von Menschenhandel, mit dem infolge der instabilen Lage und den Fluchtbewegungen vermehrt zu rechnen war. Ein wichtiger Aspekt der Arbeit der Gruppe war dabei auch die Vernetzung mit anderen Themenbereichen, etwa den Kinder- und Jugendrechten und der spezifischen Prävention von Kinderhandel. Darüber hinaus widmete sich die Arbeitsgruppe der speziellen Situation von Frauen und LGBTIQ+-Personen, die ein erhöhtes Risiko haben, Opfer von Menschenhandel zu werden.
Es fand ein intensiver Austausch von Informationen und Best Practices statt, um gezielt auf die Bedürfnisse und Gefahren dieser Gruppen einzugehen. Austausch gab es außerdem auch über diverse Informationsangebote und -materialien. Berichtet wurde etwa über die Bereitstellung von Rechtsberatung und Informationsmaterialien für neu ankommende Geflüchtete. Diese Maßnahmen sollten dazu beitragen, dass Betroffene frühzeitig über ihre Rechte informiert werden und somit das Risiko, Opfer von Menschenhandel zu werden, zu verringern.
Themen der Arbeitsgruppe im Jahr 2023
Die Arbeitsgruppe setzte ihre Arbeit zur Umsetzung der erarbeiteten Maßnahmen zum Nationalen Aktionsplan (NAP) 2021 bis 2023 fort. Die Mitglieder wurden aufgefordert, den NAP auf weitere relevante Punkte hin zu überprüfen, um sicherzustellen, dass alle wichtigen Maßnahmen abgedeckt sind. Im Rahmen eines Austauschs wurde außerdem über das Symposium „Kinderrechte und Kinder Opferschutz in Österreich“1 berichtet, bei dem zentrale Themen rund um den Schutz von Kindern als Opfer von Menschenhandel diskutiert wurden.
Weiters brachte LEFÖ-IBF zwei wesentliche Anliegen zur Sprache: Erstens die Frage nach der Grundversorgung von Opfern von Menschenhandel, und zweitens den Zugang zur Wiener Wohnungslosenhilfe. Es wurden konkrete Fallbeispiele präsentiert, um die bestehenden Herausforderungen zu verdeutlichen. Aus diesen Fragestellungen entstand eine Zusammenarbeit mit dem Fonds Soziales Wien (FSW) zum Thema „Zugang zur Wohnungslosenhilfe und Grundversorgung“. Behandelt wurden dabei drei Themenfelder:
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Soziale Absicherung, Zugang zur Grundversorgung: Opfer von Menschenhandel (die etwa von LEFÖIBF oder Men Via betreut werden) haben bereits vor der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG Anspruch auf Grundversorgung, einschließlich Krankenversicherung. Es wurden jedoch Verzögerungen im Prozess durch die Einbeziehung der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) festgestellt.
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Zugang zu psychosozialen Einrichtungen: Der Zugang ist eingeschränkt, da das Platzangebot hinter dem Bedarf zurückbleibt. Men Via berichtete, dass jährlich österreichweit drei bis fünf Opfer von Menschenhandel Zugang zu psychosozialen Einrichtungen benötigen. Die Bundesländer wurden im Rahmen des Nationalen Aktionsplans (NAP) aufgefordert, Lösungen zu finden.
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Zugang zur Wohnungslosenhilfe: Drittstaatsangehörige und EU-Bürger*innen, die als Opfer von Menschenhandel anerkannt sind, können bei Erfüllung der Voraussetzungen Subjektförderungen durch die Wiener Wohnungslosenhilfe erhalten. Es wurden konkrete Fallkonstellationen besprochen, um Erfahrungen auszutauschen und Problemfelder zu benennen.
Vertretung der Stadt Wien in der Task Force Menschenhandel
#Seit 2014 ist das Menschenrechtsbüro Mitglied der Task Force Menschenhandel, die beim Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten eingerichtet ist. Die Task Force umfasst alle relevanten Bundesministerien und Regierungsstellen, die Bundesländer, Sozialpartner sowie spezialisierte Nichtregierungsorganisationen. Ihre Hauptaufgabe besteht in der Ausarbeitung und Überwachung der Umsetzung Nationaler Aktionspläne zur Bekämpfung des Menschenhandels. Diese Pläne verfolgen einen umfassenden Ansatz, der Maßnahmen zur nationalen Koordination, Prävention, Opferschutz, Strafverfolgung und internationalen Zusammenarbeit umfasst.
Umsetzung des Nationalen Aktionsplans zur Bekämpfung des Menschenhandels 2021 - 2023
Das Menschenrechtsbüro und die Wiener Antidiskriminierungsstelle für LGBTIQ-Angelegenheiten (WASt) sind für die Umsetzung des Punktes „Prüfung der aktuellen Situation von Trans*personen als Betroffene von Menschenhandel im Kontext sexueller Ausbeutung“ des Nationalen Aktionsplans zur Bekämpfung des Menschenhandels (NAP) 2021 bis 2023 zuständig.
Im Oktober 2022 fand hierzu eine Sitzung mit allen relevanten Stakeholdern statt, bei welcher insbesondere die erhöhte Vulnerabilität von Transpersonen und Lösungsansätze diskutiert wurden. Die Situation von Trans*personen als Betroffene von Menschenhandel im Kontext sexueller Ausbeutung stellt eine besonders komplexe und herausfordernde Problematik dar. Trans*personen finden sich aufgrund von Diskriminierungserfahrungen wegen ihrer Geschlechtsidentität teilweise in prekären Lebenssituationen, die sie anfälliger für Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung machen. Diese Vulnerabilität wird durch sozioökonomische Benachteiligungen, fehlenden Zugang zu Gesundheitsversorgung und rechtlichen Schutz sowie die oft mangelnde Anerkennung ihrer Identität in vielen gesellschaftlichen Kontexten verstärkt.
Stigmatisierung und Diskriminierung erschweren es ihnen, sich Unterstützung zu holen oder sich an die Behörden zu wenden. Die Sichtbarkeit von Trans*personen als Opfer von Menschenhandel ist oft gering, weswegen die Herausforderungen in der öffentlichen und politischen Diskussion unterrepräsentiert sind. Die Umsetzung des Punktes des Nationalen Aktionsplans zur Bekämpfung des Menschenhandels soll die aktuelle Situation von Trans*personen in Österreich aufzeigen, um die besonderen Bedürfnisse von Trans*personen zu erkennen und gezielte Maßnahmen zu ergreifen.
Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans zur Bekämpfung des Menschenhandels 2024 - 2027
Im Jahr 2023 wurde im Rahmen der Task Force der Nationale Aktionsplan zur Bekämpfung von Menschenhandel 2024 - 20272 ausgearbeitet. Das Menschenrechtsbüro ist gemeinsam mit der Wiener Antidiskriminierungsstelle für LGTBIQAngelegenheiten (WASt) auch in der Periode 2024 -2027 wieder für die „Prüfung der aktuellen Situation von Trans*personen als Betroffene von Menschenhandel im Kontext sexueller Ausbeutung“ zuständig.
Besuch von GRETA (Group of Experts an Action against Trafficking in Human Beings)
#Im Dezember 2023 erfolgte im Rahmen der 4. Evaluierungsrunde zur Einhaltung der Konvention des Europarates zur Bekämpfung von Menschenhandel seitens der Expert*innengruppe des Europarates ein Besuch in Österreich. In diesem Zusammenhang fand auch ein Termin im Menschenrechtsbüro der Stadt Wien unter Teilnahme der Stadt Wien – Frauenservice sowie Stadt Wien – Einwanderung und Staatsbürgerschaft, des Fonds Soziales Wien (FSW), der Wiener Antidiskriminierungsstelle für LGBTIQ-Angelegenheiten sowie der Kinder- und Jugendanwaltschaft statt. Im Fokus dieses Treffens stand der Austausch darüber, welche Dienste in Wien zur Unterstützung besonders gefährdeter Personen und Gruppen zur Verfügung stehen. Dabei wurden Maßnahmen und Angebote für Menschen mit Behinderung, LGBTIQ-Personen, Opfer mit Kindern, Opfer mit schwerem Trauma und obdachlose Personen besprochen.
Teilnehmende Organisationen der Sitzung (Oktober 2022) |
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Stadt Wien - Menschenrechtsbüro |
Wiener Antidiskriminierungsstelle für LGBTIQ-Angelegenheiten (WASt) |
Stadt Wien – Gesundheitsdienst |
Stadt Wien – Wahlen und verschiedene Rechtsangelegenheiten |
Amt der Tiroler Landesregierung |
Bundeskanzleramt |
Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten |
Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz |
Landeskriminalamt Wien |
Landespolizeidirektion Wien |
IOM – International Organization for Migration |
LEFÖ-TAMPEP, Beratung und Gesundheitsprävention für Migrantinnen* in der Sexarbeit |
Courage |
LEFÖ-IBF, Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel |
MEN VIA (Opferschutzeinrichtung für von Menschenhandel betroffene Männer) |
Queerbase |