5. Rechtskonform

5.2 Herausforderungen im Vollzug des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG)

Aufgrund der Komplexität des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) kann in diesem Rahmen nur auf einige wenige Beispiele eingegangen werden, die in der Behörde einen erheblichen Mehraufwand verursachen und daher die Verfahren in die Länge ziehen.

Unübersichtlichkeit und Komplexität des Gesetzes

Es gibt im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz über 20 verschiedene Arten von Aufenthaltstiteln und vier Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. Bei vielen Aufenthaltstiteln gibt es noch weitere Untergliederungen, z.B. sieben verschiedene Aufenthaltstitel für Rot-Weiß-Rot-Karten.

Beispiel: Es wird eine Rot-Weiß-Rot-Karte als „Studienabsolvent“ beantragt. Nach Weiterleitung des Antrags an das Arbeitsmarktservice (AMS) stellt sich dort heraus, dass nur die Voraussetzungen für eine Rot-Weiß-Rot-Karte als „Sonstige Schlüsselkraft“ vorliegen. Die antragstellende Person muss in der Folge den Antrag bei der Stadt Wien – Einwanderung und Staatsbürgerschaft ändern, erst danach kann der geänderte Antrag erneut zur Prüfung an das AMS übermittelt werden. Erfolgt keine Antragsänderung, wird der Antrag vom AMS abgewiesen.

Beispiel: Das NAG sieht eine Niederlassungsbewilligung (NB) für unselbständige Künstler*innen und eine solche für selbständige Künstler*innen vor. Mit der am 1.10.2022 in Kraft getretenen Novelle des NAG und des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ist nunmehr eine selbständige Nebenbeschäftigung mit einer NB Künstler unselbständig zulässig. Für den umgekehrten Fall gilt das jedoch nicht. Es entspricht der Lebensrealität, dass viele künstlerisch tätige Personen sowohl selbständig als auch unselbständig tätig sind und dass die jeweils andere Tätigkeit hinsichtlich des Ausmaßes nicht nur als Nebenbeschäftigung ausgeübt wird bzw. werden soll.

Auslandsantragstellung

Aufenthaltstitel, die im Ausland beantragt wurden, dürfen nach den Bundesgesetzen in vielen Fällen nur mit einem bestimmten Visum in Österreich abgeholt werden. Befindet sich jemand mit einem anderen Visum in Österreich, darf der Aufenthaltstitel nicht ausgehändigt werden. Antragsteller*innen müssen in diesem Fall wieder ausreisen, das „richtige“ Visum bei der Botschaft im Heimatstaat beantragen und können erst nach Erteilung des Visums wieder nach Österreich einreisen und den Aufenthaltstitel abholen.

Krankenversicherungsschutz

Ein Aufenthaltstitel oder eine EWR-Dokumentation darf nach den Bundesgesetzen nur ausgegeben werden, wenn ein „alle Risiken abdeckender“ bzw. „umfassender“ Krankenversicherungsschutz vorliegt. Dafür müssen bei privaten Krankenversicherungen aus anderen Staaten die Versicherungsbedingungen individuell geprüft werden. Es gibt keine einheitliche rechtliche Vorgabe, wann eine Krankenversicherung „alle Risiken abdeckt“ oder „umfassend“ ist. Dies führt zu einem massiven Ressourcen- und Zeitaufwand.

Unionsrechtlicher Aufenthalt

Das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht ergibt sich direkt aus dem Recht der Europäischen Union. Für die Niederlassungsbehörden ist daher im Vollzug auch das Unionsrecht zu beachten. Für viele Sachverhalte gibt es aber weder im nationalen Recht noch in den unionsrechtlichen Bestimmungen eindeutige Vorgaben. Daher ist häufig das Herantragen einzelner komplexer Fragestellungen an das Bundesministerium für Inneres erforderlich. Bis zur Klärung solcher Punkte kann es zu Verzögerungen in anhängigen Verfahren kommen.

Zum Beispiel endet bei einer Elternkarenz das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht als „Arbeitnehmer*in“, auch wenn der Elternteil weiter bei derselben Firma oder Organisation angestellt bleibt. Das Aufenthaltsrecht gilt nur dann weiter, wenn ausreichende Existenzmittel und ein umfassender Krankenversicherungsschutz nachgewiesen werden. Die Niederlassungsbehörden haben die Dauer der Karenz zu berücksichtigen, ohne dass es dazu einheitliche rechtliche Vorgaben gibt.

Beispiel: Eine alleinerziehende Frau war bis zum Mutterschutz regulär erwerbstätig und beantragt nun für ihr neugeborenes Kind eine Anmeldebescheinigung. Die Behörde muss nun prüfen, ob die Mutter weiterhin ein Aufenthaltsrecht hat. Dafür müssen Einkommensoder Vermögensnachweise und eine umfassende Krankenversicherung vorgelegt werden. Reicht das Kinderbetreuungsgeld nicht aus, um das gesetzlich festgelegte Einkommen zu erreichen, hat die Mutter kein Aufenthaltsrecht nach dem NAG.