1.1 Kulturmetropole Wien
Wien ist eine Kulturmetropole. Diese viel zitierte Aussage ist mehr als ein Schlagwort, sie beruht auf belegbaren Fakten. In der Bevölkerungsbefragung zur Lebensqualität in Wien, die alle fünf Jahre durchgeführt wird, zeigt sich deutlich, dass die Wiener*innen das kulturelle Angebot in der Stadt intensiv nutzen und auch damit zufrieden sind. Dies trägt wesentlich zur hohen Lebensqualität in der Stadt bei. Neben der guten öffentlichen Infrastruktur, dem geförderten Wohnbau und der hohen Sicherheit ist das vielfältige Kulturangebot, das sich über den gesamten Stadtraum erstreckt, ein entscheidender Faktor für das soziale Miteinander, das eine Metropole für alle Bevölkerungsgruppen lebenswert macht. Dies betrifft die Wiener*innen genauso wie die zahlreichen Tourist*innen, die wegen des attraktiven Kulturangebots in die Stadt strömen und für eine signifikante Wertschöpfung sorgen. Kultur bedeutet im komplexen Gefüge einer Großstadt aber noch viel mehr: Sie schafft für alle zugängliche Orte des gemeinsamen Erlebens, an denen Begegnungen unterschiedlichster Gruppen möglich sind und der soziale Zusammenhalt gestärkt wird – die soziale Textur wird verdichtet und tragfähig. In einer Gesellschaft, die sich immer mehr aufsplittert und in Echokammern verliert, wirkt Kultur verbindend, schafft Identität und ein Gefühl von Gemeinsamkeit und Solidarität. Ein kulturelles Angebot, das angenommen wird, ist dafür unabdingbar. Damit dies auch in Zukunft gewährleistet ist, wurde der Prozess der Kulturstrategie 2030 ins Leben gerufen.
Am Beginn unserer Überlegungen stand die Frage, wie man eine so weitreichende Strategie für eine Kulturmetropole und Millionenstadt wie Wien formulieren kann. Die Herausforderung war und ist, die kulturelle, gegenwärtige Vielfalt, die historisch einzigartige Vergangenheit in eine Zukunft zu denken, die nicht einschränkt, verhindert, sondern Kunst, Kultur und Wissenschaft in der Stadt Wien weiterentwickelt und fördert.
Es war dabei von Anfang an essentiell, dass die Erarbeitung einer Kulturstrategie ein kommunikativer Prozess sein muss: Ausgehend vom Team der Kulturstadträtin, dann im erweiterten Kreis mit Künstler*innen und Expert*innen der Stadt, letztlich mit der Stadtbevölkerung. Immer mit der Überzeugung, dass Strategien, die so weitreichend sind, sich nur im breiten, demokratisch geführten Dialog sinnvoll formulieren lassen. Erstes Ziel war es, ein Rahmenkonzept über das Jahr 2025 hinaus für ein zukünftiges kulturelles Profil der Stadt zu entwickeln und strategische Handlungsfelder für eine innovative und nachhaltige Kulturpolitik in Wien zu definieren. Dabei war ein breit angelegter Beteiligungsprozess mit Künstler*innen, Expert*innen aus Kunst und Kultur, aus Stadtplanung und Stadtentwicklung, aus Bildung und Integration und interessierter Stadtbevölkerung geplant.
Der Einbruch der Covid-19-Pandemie torpedierte im ersten Augenblick scheinbar das, was das Vorhaben grundsätzlich ausmachte: Austausch, Nähe, Dialog. Statt Planung nur Ungewissheit. Doch so unbeherrschbar die Situation anfangs erschien, sie hatte viele, nicht nur negative Aspekte und einen enormen Einfluss auf das Projekt Wiener Kulturstrategie 2030. Arbeitsabläufe veränderten sich, was uns Zeit zum gemeinsamen Nachdenken gab und zur Forcierung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit in der Stadtverwaltung führte. Die Pandemie erforderte Kreativität und Innovation auf allen Ebenen. Sie zeigte in aller Schärfe die Verwundbarkeit der Kultur und was die Herausforderungen für eine Kulturmetropole wie Wien sein werden. Die Pandemie bedeutete einerseits Stillstand, führte aber andererseits auf neue Wege, die sich deutlich sichtbar im Ergebnis der Wiener Kulturstrategie 2030 niedergeschlagen haben.
So wurde die Zeit im internen Prozess intensiv genützt, um Ende 2021 – als wieder mehr Planungssicherheit bestand – nach einer Ausschreibung einen größeren Arbeitskreis über das eigene Team hinaus unter Einbeziehung der Strategieberatung EY-Parthenon zu bilden. Die Erarbeitung der Wiener Kulturstrategie gliederte sich nun in drei Phasen:
Die erste der drei Phasen widmete sich der Erhebung und Analyse von zentralen Herausforderungen der Wiener Kunst- und Kulturszene. Von August bis Oktober 2022 wurden Interviews mit ausgewählten Expert*innen der verschiedenen Szenen, Verwaltung und Politik geführt. Daraus leiteten sich folgende acht Handlungsfelder für die kulturpolitische Strategie der Stadt Wien bis 2030 ab.
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Leistbare Kultur und inklusive Teilhabe
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Diversität und Chancengleichheit
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Fair Pay und soziale Absicherung
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Zeitgemäße Gedenk- und Erinnerungskultur
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Krisenresiliente Kultur
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Kulturelle Infrastruktur und neue Räume
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Klimaverträglichkeit in Kunst und Kultur
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Digitalisierung in Kunst und Kultur
Nach dieser Analyse der zentralen Herausforderungen wurden in der zweiten Phase der Kulturstrategie von November 2022 bis Frühjahr 2023 acht Handlungsfelder für die kulturpolitische Strategie der Stadt Wien mit Expert*innen aus diesen Bereichen vertiefend diskutiert. Insgesamt nahmen mehr als hundert Akteur*innen aus Kultur, Verwaltung und Politik an den verschiedenen Workshops teil.
Die Dialogkonferenz, die im April 2023 im Wiener Rathaus stattfand, markierte den Abschluss der ersten beiden Projektphasen.
Die dritte Phase, die von Juni bis September 2023 dauerte, richtete sich an die Wiener*innen und ihre Anliegen und Bedürfnisse: Zum einen konnten sie über eine offene Plattform eigene Ideen und Vorschläge über einbringen, zum anderen wurde vom Forschungsinstitut SORA eine repräsentative Befragung der Wiener Bevölkerung durchgeführt.
Die Ergebnisse der verschiedenen Phasen sind in der vorliegenden Publikation festgehalten. Darüber hinaus verstehen wir die Wiener Kulturstrategie als fortlaufenden Prozess, der mit der Dokumentation der Ergebnisse nicht abgeschlossen ist. Die Erkenntnisse fließen in das kulturpolitische Handeln ein und der intensive Austausch mit den Vertreter*innen des kulturellen Feldes soll fortgeführt werden. Auch dem mehrfach geäußerten Wunsch, Vernetzungsmöglichkeiten zwischen den Vertreter*innen verschiedener Sparten und Szenen herzustellen soll, in Zukunft durch verschiedene Formate Rechnung getragen werden.