7.6 Wiener Mindestsicherung
Die Armutsgefährdung in Wien ist innerhalb der verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Gruppe der einkommensarmen Wiener*innen wird großteils durch die Beziehenden der Wiener Mindestsicherung (WMS) repräsentiert.
„Die Wiener Mindestsicherung hat zum Ziel, Armut und soziale Ausschließung verstärkt zu bekämpfen und zu vermeiden, die Existenz von alleinstehenden und in Familien lebenden Personen zu sichern, die dauerhafte Eingliederung oder Wiedereingliederung (…) in das Erwerbsleben sowie die soziale Inklusion weitest möglich zu fördern.“ (§ 1 Wiener Mindestsicherungsgesetz – WMG)
Personen, die über kein oder ein zu geringes Einkommen verfügen, können die WMS beantragen. Diese stockt ein (nicht) vorhandenes Einkommen bis zu einem gesetzlich definierten Mindeststandard auf, der zur Sicherung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs dienen und extreme Formen von Armut vermeiden soll. Im Jahr 2022 betrug der Mindeststandard für eine allein lebende Person 977,94 Euro.
Arbeitsfähige Menschen, welche die WMS beantragen und beziehen, sind verpflichtet, ihren Arbeitswillen nachzuweisen (Meldung beim AMS) und eine zumutbare Erwerbstätigkeit anzunehmen. Davon ausgenommen sind nur Personen, denen beispielsweise aufgrund ihres Alters keine Arbeit zugemutet werden kann. Zusätzlich muss vor dem Bezug der WMS das eigene Vermögen bis auf einen geringen Freibetrag sowie wenige Ausnahmen verwertet werden.
Mit der Mindestsicherung zu leben bedeutet damit ein Leben am Minimum. Menschen, die auf die Leistungen der WMS angewiesen sind, weisen ein Einkommen auf, das in beinahe allen Fallkonstellationen noch unter der Armutsgefährdungsgrenze von EU-SILC liegt. Diese lag im Jahr 2022 in Österreich mit 1.392 Euro pro Monat für einen Einpersonenhaushalt beispielsweise um etwa 42 % höher als der Mindeststandard der Mindestsicherung für eine allein lebende Person. Mindestsicherungsbezieher*innen zählen somit zu jenen Bevölkerungsgruppen, die finanziell einen sehr eingeschränkten Handlungsspielraum aufweisen und den sich dadurch ergebenden negativen Auswirkungen (gesundheitliche Beeinträchtigungen, rechtliche und soziale Ausgrenzung, psychische Belastung, schlechte Wohnbedingungen) stärker ausgesetzt sind.
Anspruchsberechtigte Personen für die Wiener Mindestsicherung
Der anspruchsberechtigte Personenkreis, die erfassten Bedarfsbereiche sowie die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen sind im Wiener Mindestsicherungsgesetz geregelt. Anspruch auf Leistungen nach dem Gesetz haben österreichische Staatsbürger*innen und den österreichischen Staatsbürger*innen gleichgestellte Personen, sofern sich diese rechtmäßig im Inland aufhalten. Gleichgestellte Personen sind:
-
EU/EWR-Bürger*innen und Schweizer*innen
-
Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs
-
Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte
-
Drittstaatsangehörige mit langfristigem Aufenthaltstitel
Die Anspruchsvorrausetzungen werden im Zuge des Verwaltungsverfahrens ermittelt, hier folgt lediglich ein kurzer, nicht vollständiger Überblick der Anspruchsvoraussetzungen gleichgestellter Personen.
EU/EWR- und Schweizer Staatsbürger*innen haben Anspruch, wenn sie das Recht auf Daueraufenthalt nach dem Niederlassungsgesetz erworben haben oder wenn sie erwerbstätig sind bzw. die Erwerbstätigeneigenschaft erhalten geblieben ist. Die Erwerbstätigeneigenschaft ist während eines aufrechten Beschäftigungsverhältnisses gegeben und bleibt unter verschiedenen Bedingungen aufrecht.
Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs sind anspruchsberechtigt, wenn sie die Kriterien, welche für EU-Bürger*innen gelten, erfüllen und sich vor dem ersten Jänner 2021 rechtmäßig in Österreich aufgehalten haben.
Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte erfüllen die Kriterien mit positivem Bescheid. Asylwerber*innen haben keinen Anspruch – sie werden im Rahmen der Wiener Grundversorgung mindestabgesichert.
Drittstaatsangehörige erfüllen die Voraussetzung, wenn sie einen Aufenthaltstitel haben, der als „Daueraufenthalt – EU“ gilt, oder andere bestimmte unbefristete Aufenthaltstitel vorweisen können.
Inanspruchnahme der Wiener Mindestsicherung
Mit dem Indikator zur Inanspruchnahme der Wiener Mindestsicherung wird die Anzahl der Bezieher*innen der WMS in Bezug zur gesamten Bevölkerung der Stadt Wien gesetzt.Auf diese Weise sollen Entwicklungen innerhalb einzelner Bevölkerungsteile sichtbar gemacht werden.
Chart
Tabelle
Asyl- und subs. Schutzb. | Drittstaatsangehörige | EU-/EFTA-Staatsb. | Österreichische Staatsb. | |
---|---|---|---|---|
2011 | 10274,83 | 12377,25 | 4519,5 | 63253,08 |
2012 | 12726,42 | 15581,08 | 6186,75 | 70949,33 |
2013 | 14999,5 | 17234,42 | 7491,42 | 73118,17 |
2014 | 18089,08 | 18273,08 | 8844,92 | 74450,75 |
2015 | 25238,58 | 20530,08 | 10828,25 | 77831,08 |
2016 | 34687,33 | 21656,5 | 11953,58 | 78299,33 |
2017 | 44916,58 | 19930,58 | 11441,92 | 73861 |
2018 | 49349,17 | 16795,67 | 10160 | 66266,08 |
2019 | 49585,08 | 15374,83 | 9258,83 | 61479,5 |
2020 | 50136,09 | 15666,41 | 9626,92 | 60837,75 |
2021 | 52762,33 | 15452,42 | 9647,99 | 57785,42 |
2022 | 56563,92 | 14916,17 | 9590,5 | 53232,33 |
Im Jahresdurchschnitt des Jahres 2022 bezogen 134.303 Personen die WMS (Abb. 7). Damit ist die Zahl der Bezieher*innen im Vergleich zu den Jahren 2021 (135.648 Personen) und 2020 (136.267 Personen) gesunken. Im Jahr 2017 lag in Folge der Fluchtbewegungen die Zahl der Bezieher*innen der WMS noch bei 150.150 Personen.
42,1 % der Bezieher*innen der WMS im Jahr 2022 waren anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte, 39,6 % waren österreichische Staatsbürger*innen, 11,1 % waren Drittstaatsangehörige oder unbekannter Herkunft, und 7,1 % waren Bürger*innen aus EU/EFTA-Staaten.
Chart
Tabelle
Österreich | EU/EFTA | Drittstaaten | |
---|---|---|---|
2011 | 4,71 | 3,16 | 10,41 |
2012 | 5,29 | 4,06 | 12,64 |
2013 | 5,46 | 4,49 | 13,77 |
2014 | 5,56 | 4,83 | 14,84 |
2015 | 5,82 | 5,37 | 17,7 |
2016 | 5,86 | 5,49 | 19,68 |
2017 | 5,54 | 4,96 | 21,34 |
2018 | 4,98 | 4,21 | 20,82 |
2019 | 4,64 | 3,69 | 20,19 |
2020 | 4,6 | 3,67 | 20,16 |
2021 | 4,39 | 3,54 | 20,56 |
2022 | 4,06 | 3,42 | 20,94 |
Der Anteil der Mindestsicherungsbezieher*innen an der Wiener Bevölkerung sinkt.
Im Jahr 2022 bezogen 7,0 % aller Wiener*innen eine Leistung der Wiener Mindestsicherung. Seit dem Jahr 2017 sinkt der Gesamtanteil der Bezieher*innen der WMS kontinuierlich (2017: 8,0 %, 2022: 7,0 %).
Ein Blick darauf, wie sich die Bezugsdichte bei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen (Anteil der Bezieher*innen an der jeweiligen Gruppe) entwickelt hat, zeigt, dass unter Österreicher*innen und unter Bürger*innen aus EU/ EFTA-Staaten der Anteil der Bezieher*innen seit 2017 sinkt (siehe Abb. 8). Unter Bürger*innen aus Drittstaaten ist der Anteil der Bezieher*innen mit 20,9 % im Jahr 2022 zwar kleiner als im Jahr 2017 (21,3 %), doch war der Anteil der Mindestsicherungsbezieher*innen unter Bürger*innen aus Drittstaaten im Jahr 2020 mit 20,2 % schon kleiner als im Jahr 2022.
Eine Erklärung dafür, warum unter Bürger*innen aus Drittstaaten der Anteil der Bezieher*innen der WMS größer als innerhalb anderer Gruppen der Wiener Bevölkerung ist, ist die höhere Armutsgefährdung dieser Bevölkerungsgruppe. So sind anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte nach Anerkennung bzw. Schutzgewährung sehr oft auf die Leistungen der Mindestsicherung angewiesen. Gelingt die Integration von Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten am Arbeitsmarkt, ist mit einem Rückgang beim Bezug der Mindestsicherung zu rechnen. Um eine nachhaltige Integration dieser Gruppen ins Erwerbsleben zu fördern, ist es wichtig, deren (Weiter-)Qualifizierung bzw. die Anerkennung von deren Qualifikationen zu fördern.
Chart
Tabelle
bis 18 Jahre | 19 bis 29 Jahre | 30 bis 59 Jahre | ab 60 Jahren | |
---|---|---|---|---|
Asyl- & subsidiär Schutzberechtigte | 43 | 19 | 33 | 5 |
Drittstaaten | 29 | 11 | 43 | 17 |
EU/EFTA | 38 | 10 | 40 | 12 |
Österreich | 29 | 14 | 38 | 19 |
Mehr als ein Drittel aller Bezieher*innen der Wiener Mindestsicherung ist höchstens 18 Jahre alt.
Insgesamt sind 35 % aller Bezieher*innen der WMS im Jahr 2022 höchstens 18 Jahre alt. 16 % der Bezieher*innen sind 19–29 Jahre alt, 37 % sind 30–59 Jahre alt, und 12 % sind zumindest 60 Jahre alt. Betrachtet man die Altersverteilung unter den Bezieher*innen der WMS differenziert nach Staatsbürgerschaft und Asylstatus (Abb. 9), so werden deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen sichtbar. Während bei der Gruppe der anerkannten Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigen der größte Anteil der Bezieher*innen (43 %) höchstens 18 Jahre alt ist, ist bei der Gruppe der Bezieher*innen mit österreichischer Staatsbürgerschaft der größte Anteil der Bezieher*innen (38 %) zwischen 30 und 59 Jahren alt (Abb. 9). Auch im Jahr 2019 war es bereits so, dass unter den beziehenden Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten Kinder und Jugendliche den größten Anteil ausmachten (damals 44 %).
Chart
Tabelle
arbeitsfähig (Erw.) | arbeitsfähig (k. Erw.) | arbeitsfähig (Ausnahme) | dauerhaft arbeitsunfähig | Alter (Pens., Schulpfl.) | |
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Asyl- & subsidiär Schutzberechtigte | 9 | 39 | 12 | 1 | 39 |
Drittstaaten | 9 | 34 | 12 | 5 | 40 |
EU/EFTA | 14 | 28 | 11 | 4 | 44 |
Österreich | 7 | 32 | 10 | 12 | 39 |
In allen Gruppen der Bezieher*innen der Wiener Mindestsicherung sind rund 40 % der Bezieher*innen Kinder oder Personen im Regelpensionsalter – und damit zu jung oder zu alt, um dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen.
39 % der Bezieher*innen der Wiener Mindestsicherung stehen aufgrund ihres Alters dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung – entweder, weil sie zu jung (Vorschulalter oder Pflichtschulalter) oder zu alt (im Regelpensionsalter) sind. Dieser Anteil ist in allen untersuchten Gruppen nahezu gleich, am höchsten ist er mit 44 % unter den Bürger*innen aus EU/EFTA-Staaten (Abb. 10).
11 % der Bezieher*innen der Wiener Mindestsicherung im Jahr 2022 sind zwar grundsätzlich arbeitsfähig, weisen aber eine temporäre Ausnahme vom Einsatz der Arbeitskraft auf (zum Beispiel aufgrund von Kinderbetreuung oder einer befristeten Arbeitsunfähigkeit). 8 % der WMS-Bezieher*innen weisen im Jahr 2022 ein Erwerbseinkommen auf, das aufgrund der geringen Höhe durch Leistungen der Mindestsicherung aufgestockt werden muss. 35 % der Bezieher*innen sind arbeitsfähig, aber ohne Erwerbseinkommen. 6 % der Bezieher*innen sind dauerhaft arbeitsunfähig und stehen somit dem Arbeitsmarkt dauerhaft nicht zur Verfügung. Auch im Jahr 2022 ist unter den Bezieher*innen mit österreichischer Staatsbürgerschaft der Anteil an dauerhaft arbeitsunfähigen Personen im Vergleich zu anderen Gruppen von Bezieher*innen besonders hoch (2022: 12 %) (Abb. 10).
Chart
Tabelle
Erwerbseinkommen | AMS-Einkommen | Sonstige Einkommen | Kein Einkommen | |
---|---|---|---|---|
Asyl- & subsidiär Schutzberechtigte | 9 | 22 | 35 | 34 |
Drittstaaten | 9 | 23 | 28 | 40 |
EU/EFTA | 15 | 22 | 27 | 37 |
Österreich | 7 | 25 | 37 | 31 |
Rund zwei Drittel der Bezieher*innen stocken ein vorhandenes Einkommen mit der Wiener Mindestsicherung auf.
66 % der Bezieher*innen verfügen im Jahr 2022 zwar über ein Einkommen, müssen dieses aber mit Leistungen aus der WMS aufstocken. Damit ist der Anteil der Bezieher*innen, die über ein Einkommen verfügen und dennoch auf Leistungen aus der Wiener Mindestsicherung angewiesen sind, im Vergleich zum Jahr 2019 deutlich gestiegen. Damals war mehr als die Hälfte der Bezieher*innen davon betroffen.
Ein Blick auf die einzelnen Gruppen von Bezieher*innen bringt Unterschiede zwischen den Bezieher*innen-Gruppen zutage (Abb. 11). Auch im Jahr 2022 ist unter Bezieher*innen mit österreichischer Staatsbürgerschaft der Anteil an Personen, die ein AMS-Einkommen mit Leistungen aus der Wiener Mindestsicherung aufstocken, im Vergleich zu anderen Bezieher*innen-Gruppen am größten (25 % unter den Bezieher*innen mit österreichischer Staatsbürgerschaft) (Abb. 11). Bei der Gruppe der Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten ist im Vergleich zum Jahr 2019 bemerkenswert, dass in dieser Gruppe von Bezieher*innen der Anteil derer, die ein sonstiges Einkommen mit Leistungen aus der WMS aufstocken, deutlich größer geworden ist (2022: 35 %, 2019: 19 %) (Abb. 11 und Integrations- & Diversitätsmonitor Wien 2020).
Chart
Tabelle
Erwerbseinkommen | AMS-Einkommen | Sonstige Einkommen | |
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Österreich | 667,94 | 578,63 | 434,39 |
EU/EFTA | 668,23 | 594,94 | 400,18 |
Drittstaaten | 686,33 | 579,9 | 311,17 |
Asyl- & subsidiär Schutzberechtigte | 704,34 | 366,84 | 230,23 |
Asyl- und subsidiär schutzberechtigte Bezieher*innen der Wiener Mindestsicherung beziehen im Durchschnitt höhere Erwerbseinkommen, aber niedrigere AMS- und sonstige Einkommen als andere Bezieher*innen.
Wie oben beschrieben stocken manche der Bezieher*innen der Wiener Mindestsicherung ein vorhandenes Einkommen (Erwerbseinkommen, AMS-Einkommen oder sonstige Einkommen) mit Leistungen der Mindestsicherung auf. Das Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) sieht vor, dass Personen, die über kein oder ein zu geringes Einkommen verfügen, ihr Einkommen bis zu einem gesetzlich definierten Mindeststandard aufstocken können. Dieser Mindeststandard der Wiener Mindestsicherung (977,94 Euro im Jahr 2022) dient der Sicherung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs und soll extreme Formen von Armut vermeiden.
Abbildung 12 zeigt, wie hoch die Erwerbseinkommen, AMS-Einkommen und sonstige Einkommen von Bezieher*innen der Wiener Mindestsicherung im Jahr 2022 waren. Hierbei ist bemerkenswert, dass Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte unter den Bezieher*innen mit Erwerbseinkommen die im Durchschnitt höchsten Einkünfte aus Erwerbseinkommen hatten (704 Euro im Jahr 2022). Unter den Mindestsicherungsbezieher*innen mit AMS-Einkommen oder sonstigem Einkommen stellen Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte hingegen die Gruppe mit den niedrigsten Einkommen dar. Während unter Bezieher*innen mit AMS-Einkommen Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte im Durchschnitt ein AMS-Einkommen in der Höhe von 367 Euro mit Leistungen aus der Wiener Mindestsicherung aufstockten, betrug das durchschnittliche AMS-Einkommen bei den anderen Bezieher*innen zwischen 579 Euro und 595 Euro (Abb. 12).