5. Präventionsansätze in Österreich

5.2 Wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen, die in Österreich bereits umgesetzt werden

Im Mittelpunkt der Präventionsarbeit stehen Frauen und Mädchen, aber auch Männer aus Herkunftsländern mit einer hohen FGM/C-Prävalenz. Eine Schlüsselrolle nehmen hier engagierte Beraterinnen ein, die ebenfalls aus diesen Herkunftsländern stammen und trotz der Gefahr stigmatisiert zu werden, den Zugang zu den Communitys ermöglichen (siehe Kapitel 6). Nur auf dieser Basis sind Betroffene und Bedrohte erreichbar für Beratungs- und Präventionsangebote.

Beratung für Frauen, Mädchen und Männer aus den Communitys

Das Frauengesundheitszentrum FEM Süd in Wien nimmt seit 2007 eine führende Rolle in der Beratungs- und Präventionstätigkeit für bedrohte und betroffene Frauen in Ostösterreich ein. Mittlerweile entstanden österreichweit mehrere andere Beratungsstellen (siehe Kapitel 6), die sich dem Thema FGM/C widmen. Das Beratungs- und Betreuungsangebot setzt auf mehreren Ebenen an und umfasst medizinische, psychosoziale sowie rechtliche Aspekte.

Diese Einrichtungen sind in vielen Communitys bereits seit langem bekannt und genießen einen hohen Grad an Vertrauen. Neben der hilfreichen „Mundpropaganda“ ist die langjährige Zusammenarbeit mit vielen Kooperationspartner*innen von großer Bedeutung. In Ergänzung zum Angebot für Frauen und Mädchen bieten manche Beratungsstellen auch männerspezifische Beratung an.

Workshops für Frauen, Mädchen und Männer aus den Communitys

Die Etablierung eines nachhaltigen Zugangs zu betroffenen Communitys stellt einen herausfordernden Prozess dar, der auf mehreren Ebenen ansetzt und auf unterschiedlichste Weise gelingen kann. Workshop-Angebote für Mädchen und Frauen aus relevanten Herkunftsländern haben eine enorme Bedeutung in der Arbeit gegen FGM/C.

Diese Workshops bieten die Möglichkeit, die Frauen und Mädchen behutsam im Dialog an FGM/C heranzuführen. Themen wie das österreichische Gesundheitssystem, Frauenrechte und Frauengesundheit haben sich als „Türöffner“ bewährt, FGM/C fließt bei den Gesundheitsthemen als integrativer Bestandteil ein.

Männerworkshops leisten einen maßgeblichen Beitrag zur Sensibilisierung von Jugendlichen und Männern, denen die Tragweite dieser Praxis und deren Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit der Frauen und Mädchen überhaupt nicht bewusst sind.

Peers-Schulungen

Unter „Peers“ sind in diesem Kontext Personen gemeint, die der Community eines von FGM/C-betroffenen Landes angehören. Diese haben eine wichtige Funktion als Multiplikator*innen im Kampf gegen FGM/C in ihrem vom Herkunftsland geprägten sozialen Umfeld. Sie werden im Rahmen eigener Schulungen ausgebildet, um in ihrem Umfeld über Mythen und die gesundheitlichen Folgen von FGM/C aufzuklären.

Schulungsangebot für Fachkräfte

Sensibilisierung und Vermittlung von Basiswissen zum Thema FGM/C sollte in Schulungen und Fortbildungen erfolgen und in die entsprechenden Curricula der einzelnen Berufsgruppen integriert werden.

Ziel von Schulungen zum Thema FGM/C ist es, Mitarbeiter*innen und Auszubildende aus unterschiedlichen Berufsgruppen (medizinischer und psychosozialer Bereich, Pädagogik, öffentlicher Bereich u.a.) zu diesem Thema zu sensibilisieren.

Mit konkreten Informationen über die Ursachen für FGM/C, die kulturellen Begründungen und die gesundheitlichen und psychischen Auswirkungen wird es den Fachkräften ermöglicht, kultursensibel mit von FGM/C betroffenen Mädchen und Frauen umzugehen. Die Schulungen bieten auch einen geschützten Raum für die emotionale Betroffenheit der Fachkräfte.

FGM-Beirat der Stadt Wien

Unter Leitung des Wiener Programms für Frauengesundheit trifft der FGM-Beirat der Stadt Wien seit 2007 regelmäßig zusammen. Dem Beirat gehören an: Expert*innen der Gynäkologie, der Frauengesundheit, Psychologie und Pädiatrie, Vertreter*innen der Ärztekammer Wien, des Österreichischen Hebammengremiums und relevanter Abteilungen der Stadtverwaltung wie Kinder- und Jugendhilfe, Gesundheit, Frauen, Integration, Kinder- und Menschenrechte. Der FGM-Beirat leistet strukturelle Arbeit in der Präventions- und Bewusstseinsbildung und setzt wichtige Impulse in der medizinischen Versorgung.

Medizinische Spezialambulanzen

Spezialambulanzen zum Thema FGM/C bieten fachlich kompetente und kultursensible medizinische Beratung, Diagnostik und Therapie für erwachsene Frauen sowie spezialisierte kinder- und jugendgynäkologische Begutachtung für Betroffene und Bedrohte.

Tools zur Sensibilisierung und Aufklärung

In den letzten Jahren wurden in Österreich Informationsbroschüren sowohl für Bedrohte und Betroffene als auch für Fachkräfte produziert. Das Wiener Programm für Frauengesundheit entwickelte in Kooperation mit dem FGM-Beirat der Stadt Wien Materialien. Es entstanden Infoblätter in vielen Sprachen sowie an die Eltern gerichtete muttersprachliche Videos. Für Fachkräfte wurde ein eigenes E-Learning-Tool mit zwei Modulen als Basisinformation entwickelt. Links siehe Unterkapitel 8.1.

Österreichweite FGM/C-Koordinationsstelle

Seit Jänner 2022 bietet die FGM/C-Koordinationsstelle Information, Beratung, Präventionsarbeit und Unterstützung für Hilfesuchende, Expert*innen und Fachkräfte zum Thema FGM/C.

Hinter der Koordinationsstelle steht eine Partnerschaft des Frauengesundheitszentrums FEM Süd, des Österreichischen Roten Kreuzes, der Frauengesundheitszentren Linz und Salzburg und des Männergesundheitszentrums MEN.

Ziel der Koordinationsstelle ist es, einen Beitrag zu einer österreichweiten bedürfnis- und bedarfsgerechten Versorgung für von FGM/C betroffene Frauen und Mädchen sowie zur Prävention dieser Form der Gewalt gegen Frauen zu leisten. In der Praxis entsteht so eine österreichweite Plattform, die alle Akteur*innen miteinander vernetzt und Hilfestellung in der jeweiligen Region vermittelt.

Das Beratungs- und Betreuungsangebot setzt auf mehreren Ebenen an und umfasst medizinische, psychosoziale sowie rechtliche Aspekte. Präventions- und Aufklärungsarbeit erfolgt gemeinsam mit den Communitys aus FGM/C-betroffenen Ländern, zudem werden relevante Berufsgruppen im Umgang mit betroffenen Frauen geschult und die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisiert.

Siehe oben angeführte Punkte Workshops für Frauen, Mädchen und Männer in den Communitys, Peers-Schulungen, und Schulungs-Angebot für Fachkräfte (siehe Unterkapitel 6.1).