Im österreichischen Kontext gilt zu beachten, dass von FGM/C betroffene Frauen trotz häufig schwerwiegender medizinischer Beschwerden kein alltägliches Patientinnen-Kollektiv darstellen.

Die Betreuung dieser Patientinnen erfordert Expertise, ist zeitaufwendig und sollte von diesbezüglich spezialisiertem Personal durchgeführt werden. Daher ist es empfehlenswert, dass Betroffene – idealerweise nach Aufklärung und Vorbereitung durch primäre Anlaufstellen – in definierten Zentren durch Fachpersonen mit entsprechender Expertise medizinisch begutachtet und betreut werden. Zumeist wird es sich hierbei um Abteilungen für Gynäkologie und Geburtshilfe handeln, aber auch die Sichtweise von pädiatrischen, urologischen oder psychiatrischen Expert*innen kann hilfreich sein, Betroffene zu unterstützen. Als Best Practice-Beispiel für die Vorgehensweise in einem Zentrum dient hier das von der Universitätsklinik Wien entworfene Flowchart (siehe Unterkapitel 7.2).

Ein wie oben skizziertes interdisziplinäres Vorgehen ist lediglich bei von FGM/C-betroffenen schwangeren Frauen während der Geburt nicht mehr möglich. Daher gilt es, diese Patientinnen möglichst vor Wehenbeginn zu identifizieren, einer spezialisierten Betreuung zuzuführen beziehungsweise ein entsprechendes Prozedere zur Geburt vorab festzulegen (siehe Unterkapitel 4.2).

In diesem Fall kommt der bzw. dem betreuenden Fachärzt*in für Gynäkologie und Geburtshilfe eine bedeutende Rolle zu, da die Diagnosestellung im Rahmen der Eltern-Kind-Pass-Untersuchung

(ehemals „Mutter-Kind-Pass“) frühzeitig erfolgt und eine Zuweisung in das entbindende Krankenhaus ermöglicht.

Tipps für die Praxis: Das Gespräch mit Betroffenen und potenziell Gefährdeten

  • Nehmen Sie sich ausreichend Zeit. Sorgen Sie für eine ruhige, ungestörte Atmosphäre.

  • Wenn nötig, bitte eine spezialisierte und weibliche Dolmetscherin beiziehen.

  • Sprechen Sie die Frau primär nicht direkt auf ihre persönliche Betroffenheit an. Besser ist zunächst zu erfragen, ob Beschneidung im Umfeld der Frau üblich ist.

  • Achten Sie darauf, wie sich die Frau ausdrückt, und greifen Sie die von ihr verwendeten Begriffe auf, etwa „Beschneidung“. Vermeiden Sie drastische Begriffe wie „Verstümmelung“.

  • Zeigen Sie Ihren Respekt, aber nicht Ihre Gefühle. Machen Sie Ihren Standpunkt deutlich, ohne zu verurteilen.

  • Verweisen Sie Betroffene und potenziell Bedrohte an spezialisierte Beratungsstellen.

  • Versuchen Sie in Ihrem Wirkungsbereich ein FGM/C geschultes multiprofessionelles Netzwerk zu bilden, um der Betroffenen und ihren Kindern die Möglichkeit zu geben, ihre Sicht auf FGM/C zu relativieren. Was im Herkunftsland richtig und notwendig erscheint, kann in Österreich mit allen Anlaufschwierigkeiten einen Prozess auslösen, den aufmerksame und geschulte Pädagog*innen oder medizinisches Personal im Rahmen von Vorsorge- und Eltern-Kind-Pass-Untersuchungen präventiv unterstützen können.