Politische Teilhabe in der Stadt verbessern
Malena Haas, Sina Moussa-Lipp & Mara Verlič, Kommunalpolitik und Wohnen, Arbeiterkammer Wien
In Wien gibt es für Bewohner*innen viele Möglichkeiten, um in der Stadt und in den Bezirken mitzureden: von Wahlen über Petitionen bis zu Mitmach-Budgets in den Bezirken. Dennoch lassen sich Ausschlüsse in der politischen Teilhabe entlang von Einkommen, Bildung und Nationalität beobachten. Eine Studie der AK Wien untersuchte nun erstmals in einer repräsentativen Befragung, inwieweit Angebote zur Mitbestimmung in der Stadt den Wiener*innen bekannt sind und wie sie genutzt werden.
Demokratie in Wien: Status Quo
Wien ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gewachsen und Österreichs jüngstes Bundesland. Gleichzeitig lässt sich ein internationaler Trend unter Metropolen auch in Wien beobachten: Eine sinkende Wahlbeteiligung und zugleich ein sinkender Anteil an Wahlberechtigten führen zur Tendenz einer 2-Drittel-Demokratie. Konkret ist Wien zwischen 2010 und 2020 um rund 220.000 Menschen gewachsen. Gleichzeitig gehen aber immer weniger Wiener*innen wählen. Die Zahl der Wahlberechtigten hat sich im gleichen Zeitraum um rund 11.500 Personen verringert. Das hat zur Folge, dass viele junge Wiener*innen, sowie aktuell 29 Prozent der Wiener Angestellten und 68 Prozent der Wiener Arbeiter*innen vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Mindestens ein Drittel der Gesellschaft ist durch Ausschlüsse entlang von Einkommen, Bildung und Nationalität zunehmend politisch nicht vertreten. Zu viele Menschen wenden sich von der demokratischen Beteiligung ab oder kommen erst gar nicht dort an.
Neue AK-Studie: Demokratie in Wien
Die Arbeiterkammer Wien hat daher eine Studie über aktuelle Problemlagen und Hürden, aber auch Anregungen zu Verbesserungen von politischen Mitsprachemöglichkeiten beauftragt. Der 1. Teil der Studie ermittelte anhand einer Literatur-Recherche und Expert*innen-Interviews mit Partizipationsverantwortlichen auf Stadt- und Bezirksebene einen Überblick über alle Beteiligungsmöglichkeiten sowie die Unterschiede in ihrer rechtlichen Verbindlichkeit. Im 2. Teil der Studie wurden in einer repräsentativen Befragung 1.200 Wiener*innen in Deutsch, Türkisch, Englisch und BKS zur Teilnahme an demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten in Wien befragt. In abschließenden Workshops wurde mit Menschen, die von Ausschlüssen aus dem politischen System betroffen sind, über Details ihrer Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze gesprochen.
Zufriedenheit mit dem politischen System
Die Frage nach der Zufriedenheit mit dem politischen System wird von knapp der Hälfte der Wiener*innen mit "sehr" oder "ziemlich" gut beantwortet. Es zeigt sich aber: Höhere Einkommens- und Bildungsgruppen sind mit dem politischen System in Wien zufriedener. Im unteren Einkommensdrittel liegt die Zustimmung nur bei knapp einem Drittel. Es fällt auf, dass die Zufriedenheit mit dem politischen System mit der Dauer des Aufenthalts in der Stadt abnimmt und bei jenen am höchsten ist, die in den vergangenen 5 Jahren nach Wien gekommen sind. Diese Tendenz lässt sich unter anderem mit der Einschätzung der politischen Wirksamkeit erklären. Erleben die Wiener*innen durch ihre politischen Mitsprachemöglichkeiten wenig Wirkung, steigt auch die Frustration mit dem politischen System allgemein.
Politische Wirksamkeit
Zusätzlich ist die Politikverdrossenheit groß: Die Hälfte der Wiener*innen denkt, dass sie mit politischer Beteiligung nichts bewirken kann. Im untersten Einkommensdrittel sind sogar 61 Prozent dieser Meinung. 44 Prozent der Wiener*innen empfinden, dass die Politik sie als Menschen 2. Klasse behandelt. Im untersten Einkommensdrittel sehen das 58 Prozent so. In den Details zeigt sich eine Tendenz zur Demokratie als Klassenfrage: Ob man sich vertreten, politisch wirksam oder als Bürger*in 2. Klasse fühlt, hängt stark mit der eigenen wirtschaftlichen Position zusammen. Je besser man finanziell gestellt ist, desto eher traut man sich politische Wirksamkeit zu.
Beteiligungsmöglichkeiten
Die verschiedenen Beteiligungsmöglichkeiten in Wien unterscheiden sich grundsätzlich in ihrer rechtlichen Verbindlichkeit. Neben den verbindlichen Landtags- und Bezirkswahlen, Petitionen und Volksbefragungen, gibt es auch Beteiligungsangebote, die nicht in der Stadtverfassung verankert sind und somit keinen Rechtsanspruch auf Durchführung haben. Darunter fallen etwa Mitsprache-Projekte zur Stadtentwicklung, Mitmach-Budgets, Klimateams, aber auch die Kinder- und Jugendmillion oder die Wohnpartner der Stadt Wien, die gezielt lokale oder soziale Zielgruppen ansprechen.
Die Wiener*innen kennen im Durchschnitt 5 der 13 in der Studie abgefragten Angebote. Rund 40 Prozent haben in den vergangenen 5 Jahren mindestens ein Angebot davon genutzt. 15 Prozent, das sind rund 250.000 Wiener*innen, haben bisher von keinem Beteiligungsangebot gehört und mehr als die Hälfte der Wiener*innen hat bisher an keinem Angebot teilgenommen. Die häufigsten Gründe für die Nicht-Teilnahme sind Zeitmangel, fehlende Information und die Einschätzung, dass die eigene Beteiligung nicht politisch wirksam sei.
Sowohl in der Bekanntheit der Beteiligungsangebote als auch in der tatsächlichen politischen Teilhabe zeigt sich eine Schief-Lage: Rund 70 Prozent aus dem untersten Einkommensdrittel nutzten noch keines der genannten Beteiligungsangebote. Aus dieser Gruppe gingen von den Wahlberechtigten nur 45 Prozent zur Wiener Landtagswahl. Im obersten Einkommensdrittel wird die fehlende Teilnahme an Beteiligungsangeboten häufiger durch die Ausübung des formalen Wahlrechts ausgeglichen: Aus den 40 Prozent im obersten Einkommensdrittel, die kein Beteiligungsangebot nutzten, gingen dennoch 90 Prozent der Wahlberechtigten zur Wiener Landtagswahl.
2-Drittel-Demokratie
Die Studie zeigt, dass der internationale Trend zur 2-Drittel-Demokratie auch in Wien sichtbar ist. Und zwar nicht nur bei Wahlen, sondern auch in anderen Formen der politischen Beteiligung, wie etwa Bürger*innen-Initiativen, Petitionen, Mitbestimmung beim Wohnen oder Partizipationsformen in der Stadtentwicklung. Das Ausschließen finanziell benachteiligter Gruppen setzt eine Wirkungskette in Gang: Ihre Stimmen werden im politischen System nicht gehört, sodass mitunter politische Entscheidungen getroffen werden, die wiederum eine stärkere Benachteiligung bewirken. Mehr Angebote der Beteiligung zu schaffen, kann diese Schief-Lage in Wien allein nicht beheben. Es lässt sich ein Matthäus-Effekt beobachten: Wer bereits politisch aktiv ist, nutzt auch die neu geschaffenen Beteiligungsangebote - wer sich bislang nicht beteiligt, tut dies weiterhin nicht. Die Studienergebnisse stellen die gängige politische Praxis, wonach das Überleben der Demokratie von mehr Beteiligungsinstrumenten abhängen würde, infrage. Tatsächlich muss der Fokus von Quantität auf mehr Qualität in der Beteiligung gelegt werden, um nachhaltige und gerechte Verbesserungen zu erreichen. Die Auszeichnung für Wien als Europäische Demokratie-Hauptstadt muss als Chance genutzt werden, Demokratie für alle erlebbar zu machen.
Aus der AK-Studie ergeben sich Vorschläge für eine bessere Beteiligung in Wien:
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Es müssen mehr Verbindlichkeit in der Einbindung der Wiener*innen und inklusive Zugänge zu Beteiligungsangeboten geschaffen werden.
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Es braucht verbindliche Qualitätsstandards für alle Angebote der demokratischen Mitsprache und eine regelmäßige Überprüfung auf Wirksamkeit, wer damit erreicht wird, um demokratische Repräsentativität sicherzustellen.
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Multiplikation und Begleitung von niederschwelligen Angeboten muss durch Sozialarbeiter*innen, Stadtteil-Initiativen und Netzwerke im Grätzl erfolgen. Ressourcen für politische Beteiligung sollten nicht in die Hände privater Akteur*innen gelegt, sondern zentral von der Stadt organisiert und gebündelt werden.
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Es braucht vielfältige Kommunikation in vielen Sprachen, auf vielen Kanälen und sichtbar im Grätzl.
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Mehr Möglichkeiten für Demokratie und Mitbestimmung im Betrieb schaffen. Betriebsrats- und Arbeiterkammerwahlen stehen auch Beschäftigten mit nicht-österreichischer Staatsangehörigkeit offen.
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Mehr Demokratie braucht öffentliche Räume als Begegnungs- und Versammlungsorte zum Reden oder zur Selbstorganisation: leicht zugänglich, kostenlos und grätzlnah.
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Der Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft muss gerechter gestaltet werden.
Studie „Mehr zusammenbringen. Zur Verbesserung politisch wirksamer Beteiligung in Wien“