Landtag,
25. Sitzung vom 27.03.2009, Wörtliches Protokoll - Seite 17 von 32
begrenzt ist.
Abg Mag Jürgen Wutzlhofer
(Sozialdemokratische Fraktion des Wiener
Landtages und Gemeinderates): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus!
Ich möchte mit einem soziologischen Befund zu einem
Thema, das ich gestern in der Debatte schon kurz erwähnt habe, beginnen. In der
Bildungsforschung lassen sich grob zwei Erklärungsstränge darüber
unterscheiden, was Bildung kann.
Erklärung 1: Das Bildungssystem trägt dazu bei,
dass Chancen umverteilt werden, dass Ressourcen verteilt werden. Bildung ist
also der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe.
Erklärung 2: Das Bildungssystem ist abhängig von
der Gesellschaftsstruktur, und die Aufgabe besteht eigentlich darin, dass man
Machtverhältnisse aufrechterhält, sogar noch verfestigt. – Das hat Pierre
Bourdieu zum Beispiel in den 70er Jahren eindrucksvoll für das französische
Bildungssystem nachgewiesen.
Die schlechte Nachricht: Derzeit stimmt in Österreich
eher das zweite Erklärungsmodell.
Vielleicht ein bisschen weniger gespreizt: Sie kennen
sicher alle, oder die meisten von Ihnen, die „Simpsons", eine großartige
Trickfilmserie von Matt Groening. Das ist eine Familie in einer fiktiven
US-amerikanischen Kleinstadt, Springfield. Und Lisa, Maggie und Bart Simpson -
das sind die Kinder - haben etwas gemeinsam mit mir, aber auch zum Beispiel mit
Sybille Straubinger, also mit unseren RednerInnen bei der heutigen Debatte:
Ihre Eltern sind nicht Akademiker. Der Vater von Bart Simpson, Homer Simpson,
hat keine mittlere Reife, die Mutter hat diese, aber darüber hinaus auch nicht mehr.
Sybille Straubinger hat mir gerade vorhin erzählt, dass ihre beiden Eltern
keine Matura haben; meine Mutter hat ebenfalls keine. In so einer Situation
hätten Lisa, Bart und Maggie, haben Sybille Straubinger und ich in Österreich
derzeit, selbst wenn wir die Matura erreichen, eine Chance von 6 bis
8 Prozent, einen Universitätsabschluss zu erhalten. Ein Kind einer Wiener
Akademikerfamilie hingegen hat eine Chance von 80 Prozent!
Die traurige Wahrheit in Österreich ist auch noch: Das
führt ja zu etwas! Zum Beispiel sind PflichtschulabsolventInnen in acht Mal so
hohem Ausmaß von Arbeitslosigkeit betroffen wie Uni-AbsolventInnen. Es sind die
Ursachen dafür vielleicht vielschichtig, aber der Befund ist beschämend - denn
Bildungschancen sind Lebenschancen, und sie dürfen nicht von der Herkunft
abhängen.
Daher werden wir immer auf der Seite derer stehen,
die leidenschaftlich eintreten für eine Gesellschaft, die offen und durchlässig
ist und dem Ziel „Bildung für alle" gerecht wird. (Beifall bei der SPÖ.)
Wir haben das mit vielen Forderungen zum Ausdruck
gebracht: mit dem Eintreten gegen Studiengebühren, mit unserer Forderung nach
einer kostenlosen Berufsmatura, mit der Forderung nach einer flächendeckenden
gemeinsamen Schule für alle.
Die Richtung unserer Wiener Politik war aber immer
auch „Bildung von Anfang an": Ein massiver Ausbau von Kindergärten, und
zwar nicht als Betreuungsstätten, nicht als „Kindergarderoben", sondern
als hochqualitative, mit dem Beruf vereinbare Bildungseinrichtungen. Das hat
kein anderes Bundesland auch nur annähernd in unserer Intensität gemacht, und
das kann uns alle mit Stolz erfüllen. Es kann uns mit Stolz erfüllen, wenn wir
heute sagen können, Wien investiert verglichen mit anderen Bundesländern am
allermeisten in frühkindliche Bildung, und zwar absolut und pro Kopf. Jetzt
kommen zu den 345 Millionen EUR im Jahr noch
75 Millionen EUR dazu. Mit dem weiteren Ausbau wird es jedes Jahr
wahrscheinlich noch ein bisschen mehr werden.
Wiener Kindergärten bieten die höchste Qualität: eine
flächendeckende ganztägige Betreuung mit guten PädagogInnen; wir haben
Öffnungszeiten und Schließtage, die mit einer Berufstätigkeit vereinbar sind,
einen Bildungsplan und vieles mehr. Ein Vergleich mit anderen Bundesländern macht
Sie auch hier sicher. Und: Wien hat mit Abstand, und bereits jetzt mit Abstand,
die meisten Kindergartenplätze. Die Hälfte aller Plätze für Null- bis
Sechsjährige findet man in Wien. 60 000 Plätze stehen insgesamt zur
Verfügung. Wir werden sie weiter ausbauen.
Nun ist ein eindrucksvolles und ein einhelliges
Ergebnis aller Studien in diesem Zusammenhang – zuletzt werden alle von Ihnen
PIRLS und PISA gehört haben -, dass sich der Besuch eines Kindergartens massiv
positiv auf die Bildungschancen auswirkt. Damit also die Maggies, Barts und
Lisas eine Chance von mehr als 6 bis 8 Prozent bekommen, ist es unsere
verdammte Aufgabe, in die elementare Bildung zu investieren, und es ist in
Wirklichkeit die einzige Möglichkeit, an einer Zukunft für die Gesellschaft zu
arbeiten. (Beifall bei der SPÖ.)
Es ist daher eigentlich ein Gebot der Stunde, dass
wir einen Schritt weiter gehen. Ich habe es schon erwähnt, es ist durchaus
eindrucksvoll, wo wir stehen; aber umso notwendiger ist es, einen Schritt weiter
zu gehen. Und wir gehen mit dem beitragsfreien Kindergarten einen Riesenschritt
weiter. Ab September wird dies in Wien Realität - und Wien ist wieder Vorreiter
(Abg Alfred Hoch: Nicht für alle!): Es ist das einzige Bundesland, in
dem die Betreuung von Kindern von null bis sechs Jahren kostenlos angeboten
wird. (Abg Alfred Hoch: Nicht für alle!) Das bedeutet, dass die Eltern,
und zwar alle Eltern aller Kinder, den Betreuungsbeitrag von 226 EUR - das
ist der Beitrag eines Ganztagsplatzes in einem städtischen Kindergarten - nicht
mehr zahlen müssen. Das gilt für alle (Beifall bei der SPÖ) - und zwar
egal, ob bei privaten Trägern, ob bei städtischen Kindergärten, ob bei einer
Tagesmutter, ob bei einer Kindergruppe: 226 EUR gilt für alle.
Selbstverständlich bekommen die
gemeinnützigen Träger über diese Betreuungsbeitragsförderung eine Förderung für
die Gruppen. Ob das jetzt reicht und ob die Privaten damit ein ganz kostenloses
Angebot für alle zur Verfügung stellen können oder ob da zum Beispiel für Zusatzangebote
wie Native Speaker, Frühbetreuung et cetera dann ein Betrag eingehoben wird,
ist letztlich auch Gegenstand der guten Gespräche, die von StR
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