Gemeinderat, 21. Sitzung vom 30.03.2022, Wörtliches Protokoll - Seite 31 von 94
entschieden, diesen Menschen keinen Vertriebenenstatus zu gewähren. Das heißt, das ist abgehakt, das brauchen Sie nicht mehr zu fordern. Österreich hat sich bereits zu dieser Vorgangsweise entschieden, und das ist eine gute Vorgangsweise. Also auch das ist keine Begründung, warum Sie unseren Antrag ablehnen, aber sei es drum.
Die Massenzustrom-Richtlinie, die eine gute Regelung auf EU-Ebene ist, der strategische Kompass in der militärischen Dimension, der beschlossen wurde, und nicht zuletzt die Sanktionen: Selbstverständlich wird es mit fortschreitendem Krieg, sicherlich auch mit der fortschreitenden Teuerung, immer schwieriger, diese Balance zwischen europäischer Solidarität und ganz zentralen notwendigen Interessen zu finden. Ich schaue da aber mit großem Vertrauen auf unsere Staatsführung. Wir haben einen Bundeskanzler und einen Außenminister, die mit großem Augenmaß zu unterscheiden wissen. Ich bin mir sicher, dass sie die österreichischen Interessen auch in Zukunft in diesem schwierigen Balanceakt ausgezeichnet vertreten werden.
Wir kommen zu Wien: Wien drückt wie ganz Österreich seine Solidarität aus, und zwar auch in ganz konkreter Hilfe. Wir konnten uns selber davon überzeugen, wie überwältigend die Hilfsbereitschaft in Wien ist. Deswegen sehen wir es momentan nicht an der Zeit, zu schauen, wer was falsch macht und wo man den Zeigefinger hinlegen kann, sondern zu sagen: Wie kann man es noch besser machen? Das ist einer der Gründe, warum wir dem Antrag der Grünen heute zustimmen werden. Es geht um die Evaluierung beim FSW und bei Wiener Wohnen, ob kurzfristig vertriebene UkrainerInnen aufgenommen werden können. Ich füge aber hinzu, wir möchten das nicht als generelle Öffnung der Gemeindebauten für ukrainische Geflüchtete verstanden wissen.
Wir haben selber auch einen Antrag betreffend Schutz ukrainischer Frauen und Mädchen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung mitgebracht. Was vielleicht etwas abstrakt klingt, möchte ich mit einer konkreten Geschichte verbinden. Wir sind ja an die ukrainische Grenze gefahren, wir haben Hilfsgüter hingebracht und wir haben gesagt, selbstverständlich nehmen wir Frauen und Kinder mit, wir hatten ausreichend Platz. Dann kam es zu der grotesken Situation, dass niemand mitfahren wollte. Das haben wir nicht verstanden. Dann haben Sie uns erklärt, das ist, weil die Frauen solche Angst vor Menschenhändlern haben, weil bereits Menschenhändler an der ukrainisch-polnischen Grenze sind, die die Frauen samt Kindern einsackeln und dann verschleppen.
Wir waren völlig ungläubig. Das kann doch nicht sein! Der Pfarrer, der uns dort betreut hat, Pfarrer Andrej, hat zu uns gesagt: „Ha, ha, you live in a different world.“ - Wir leben in einer anderen Welt. Da haben wir zum ersten Mal verstanden, mit welchen konkreten Abscheulichkeiten diese geflüchteten Frauen und Kinder konfrontiert sind. Diese andere Welt ist leider nicht nur an der Grenze und am Weg hierher. Diese andere Welt ist auch hier in Österreich, dazu gab es heute ad hoc auf Ö1 einen Bericht dazu.
Wir wissen, dass die Stadt Wien viel in diesem Bereich macht, wir möchten unseren Antrag daher als Anregung verstanden wissen, dass ganz konkret Hilfe für ukrainische Frauen aufgebaut und angeboten wird, um diesen Abscheulichkeiten, der Gefahr von Menschenhändlern, entgegenzuwirken.
Geschätzte Damen und Herren! Ich möchte mit zwei Hoffnungen abschließen, die erste Hoffnung lautet: Haben wir wieder mehr Realitätssinn in unserer politischen Wahrnehmung, in der Analyse, aber sehr wohl auch in der eigenen Verteidigungsfähigkeit. Und zweitens können wir hoffentlich wieder in Frieden auf unserem Kontinent und mit unseren Nachbarn leben. - Vielen herzlichen Dank.
Vorsitzender GR Mag. Thomas Reindl: Zu Wort gemeldet ist GR Florianschütz. Ich erteile es ihm.
GR Peter Florianschütz, MA, MLS (SPÖ): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Frau Berichterstatterin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Vorweg: Das zur Diskussion stehende Geschäftsstück sieht vor, dass den nationalen und regionalen Maßnahmen, die wir als Stadt Wien in hervorragendem Ausmaß setzen, eine internationale Ergänzung zuteil wird, in Form von nahezu 500.000 EUR, die dazu aufgewendet werden, vor Ort über internationale Organisationen und NGOs Hilfestellung zu liefern. Das ist an und für sich, soweit ich das aus der Debatte heraus verfolgen konnte, im Haus unstrittig oder zumindest weitgehend unstrittig, und das ist gut so.
Das Zweite ist die Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit dieser Hilfestellung, nämlich mit dem konkreten Anlass eines Angriffskrieges der Russischen Föderation und ihrem Präsidenten Wladimir Putin gegen die Republik der Ukraine. Warum sage ich Ihnen das so? - Wir tendieren momentan dazu zu personalisieren. Wahr ist schon, dass der Krieg in einem hohen Ausmaß in Verbindung mit dem Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin steht und dass es ein Angriffskrieg ist, das sowieso. Nur bin ich der festen Überzeugung, dass Geschichte zwar von Personen repräsentiert wird, aber nicht ausschließlich von Personen gemacht wird.
Das heißt, es ist ein systemischer Krieg, ein systemischer Krieg eines Unrechtssystems in der Russischen Föderation, und es steht uns nicht zu, insbesondere nicht als neutrales Land, darüber zu befinden, wie Länder regiert werden und wer welches Land wie beherrscht. Aber, meine Damen und Herren, wünschen wird man sich wohl was können. Ich wünsche mir, dass es dort halt anders wäre, im Interesse der Bevölkerung der Menschen in der Russischen Föderation, denn wenn es anders wäre, wäre es besser, und das wäre gut für die Leute dort.
Meine Damen und Herren, wir tendieren dazu, insbesondere in Krisensituationen zwischen gut und schlecht zu polarisieren, da gibt’s die Guten und es gibt die Schlechten, und das ist auch in diesem Konflikt so. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass ich der festen Überzeugung bin, dass die Logik, die da dahintersteht, die aristotelische Logik des „tertium non datur“, in dem Fall nicht gilt. Es gibt Situationen in der Geschichte, in denen
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