Gemeinderat, 71. Sitzung vom 29.06.2020, Wörtliches Protokoll - Seite 10 von 93
Hier haben wir auch schon einen Vorschlag präsentiert, mit einem Vorziehen von Investitionen in Höhe von 750 Millionen EUR, unseres Erachtens nach prioritär in den Bereichen, die viel bringen, zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung. Wir können das Projekt Schule Digital vorziehen, den Ausbau von glasfaserbasiertem WLAN an den Schulen, den Ausbau von Digitalisierung im Allgemeinen, die Photovoltaikoffensive. Hier haben wir als Stadt ganz viele sinnvolle Investitionen für die nächsten Jahre geplant, die jetzt vorgezogen gehören, damit auch die Konjunktur wieder belebt wird.
Sie haben mit uns eine Unterstützung darin, dass wir sagen, jetzt investieren, weil durch das Investieren sichern wir die Zukunft. Wir werden aber ganz kritisch darauf schauen, dass es auch einen eigenen Beitrag der Politik gibt und vor allem, dass langfristig nicht der gleiche Fehler wie nach der Finanzkrise 2008 gemacht wird: Dass die Ausrede der Krise über Jahrzehnte verschleppt wird und damit auch Schulden auf Kosten der nächsten Generation gemacht werden. Dahin gehend bringen wir heute drei Beschlussanträge ein, und ich bitte um Zustimmung. Vielen Dank.
Vorsitzende GRin Gabriele Mörk: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr StR Dr. Wölbitsch-Milan, selbstgewählte Redezeit 20 Minuten. Bitte, Herr Stadtrat.
StR Dr. Markus Wölbitsch-Milan, MIM: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Finanzstadtrat!
Ich kann Ihre Freude über den Rechnungsabschluss 2019 insoferne nachvollziehen, dass klar ist, dass Sie sich freuen, dass es seit 10 Jahren Rot-Grün ein, wenn man so will, einmaliges und einzigartiges Nulldefizit gibt. Es ist - im Moment ist ja Pop-up-Politik in dieser Stadt sehr modern - so etwas wie ein Pop-up-Nulldefizit, wenn Sie so wollen. Wir erleben ja diese Art der Politik, diese Pop-up-Politik, im Moment in vielen unterschiedlichen Themenbereichen in Wien.
Wir erleben sie bei der Frau Vizebürgermeisterin im Verkehrsbereich, wo man ein bisschen den Überblick verliert, was jetzt so alles im wahrsten Sinne des Wortes aufpoppt. Pop-up-Radwege, Pop-up-Gehwege, Pop-up-Schwimmbäder, viele verschiedene Dinge, wo man das Gefühl hat, es wird nicht einmal darüber nachgedacht, ob es irgendwie sinnvoll ist, ob es für andere Menschen irgendwie sogar mit Nachteilen verbunden ist. Das, was zählt, ist populistische Symbolpolitik, und es geht um vieles, aber sicher nicht um konstruktive Lösungen.
Es geht vor allem auch nicht um das, was jetzt eigentlich alle Politiker in dieser Stadt machen sollten, nämlich sich Gedanken machen und Konzepte liefern, wie sie die Corona-Krise bewältigen. Das vermissen wir bei Ihnen, Frau Vizebürgermeisterin, Sie kümmern sich nur um Ihre Klientel und Sie kümmern sich nicht um alle Menschen in dieser Stadt, sehr geehrte Damen und Herren. Das ist ein bisschen in Abwesenheit, jetzt bekommt es Kollege Kraus ab, aber ich bin mir sicher, man kann es auch gerne weiterleiten.
Der zweite Themenbereich ist der Themenbereich Budgetpolitik. Ich habe es schon angesprochen: Dieses Budget ist aus unserer Sicht so etwas wie ein Pop-up-Nulldefizit, denn wenn man in die Geschichte schaut, und mein Vorredner hat es ja schon angesprochen, haben wir 10 Jahre Wiener Schuldenpolitik hinter uns. Seit 10 Jahren regiert Rot-Grün und seit 10 Jahren steigen die Schulden von rund 3 Milliarden im Jahr 2010 auf knapp 7 Milliarden im Jahr 2019. Wenn man die ausgelagerten Unternehmen dazuzählt, ich weiß, das tun Sie nicht sehr gerne, dann kommen wir auf die berühmten 10 Milliarden EUR Schulden. Das ist also, was nach 10 Jahren Rot-Grün bleibt, ein doppelt so hoher Schuldenberg. Das ist, wenn Sie so wollen, das Vermächtnis von 10 Jahren Rot-Grün. Ich hoffe sehr, dass Sie darauf nicht stolz sind, sehr geehrte Damen und Herren, denn angesichts dieses Schuldenbergs kommt das von Ihnen jetzt angekündigte Nulldefizit viel zu spät und es ist nichts anderes als ein Tropfen auf den heißen Stein.
Wem ist dieses Nulldefizit geschuldet? Kollege Wiederkehr hat es schon gesagt, nicht irgendwelchen großartigen Maßnahmen, sondern einerseits der guten Konjunktur im Jahr 2019, die Ertragsanteile und eigenen Steuern sind um 227 Millionen besser ausgefallen als im Voranschlag vorhergesehen. Man hat andererseits wieder weniger investiert, als man sich vorgenommen hat, obwohl die Investitionsquote ja allgemein schon in den letzten Jahren immer wieder gesunken ist. Man hat um 282 Millionen EUR weniger investiert als im Voranschlag 2019, und natürlich ist dieses Ergebnis auch den Gebührenüberschüssen in Wien geschuldet. 2019 lagen die Überschüsse laut Rechnungshofberechnungen bei knapp 195 Millionen EUR.
Also überall sprudelt das Geld, überall wurde mehr eingenommen als veranschlagt. Es wurde weniger investiert und, sehr geehrte Damen und Herren, seien wir uns ehrlich, dieses Nulldefizit hätte nicht einmal Rot-Grün verhindern können, sehr geehrte Damen und Herren.
Die guten Zeiten aber sind vorbei und das ist es ja, was wir Ihnen auch vorwerfen: dass Sie in konjunkturell guten Zeiten nicht ordentlich gewirtschaftet haben und auch keinen ordentlichen Haushalt geführt haben. Wir haben ein Jahrzehnt Schuldenpolitik hinter uns, die Investitionsquote ist kontinuierlich gesunken. Seit Rot-Grün regiert, ist die Investitionsquote von 16,7 Prozent 2010 auf 9,2 Prozent im Jahr 2019 gesunken. Das heißt, es wird viel Geld für die Vergangenheitsbewältigung aufgewendet, aber wenig Geld für die Zukunft.
Viele notwendige Reformen fehlen oder wurden bis dato noch nicht auf den Boden gebracht. Beispiel ist die Eröffnungsbilanz. Sehr geehrter Herr Stadtrat, ich habe mehrmals nachgefragt, wann jetzt diese Eröffnungsbilanz endlich präsentiert wird. Das ist ja einer der großen Blöcke oder Bausteine der neuen Budgetpolitik, wo endlich mal transparent und für alle sichtbar erkennbar ist, welches Vermögen die Stadt hat oder wie es um das Vermögen dieser Stadt steht. Ich habe Sie im Jänner gefragt, da haben Sie gesagt: Frühjahr. Ich habe Sie jetzt im Frühjahr gefragt und jetzt sagen Sie auf einmal: Herbst. Ich mutmaße einmal, dass Herbst heißt, nach dem 11. Oktober, und ich mutmaße auch, dass es damit zu tun hat, dass wir in dieser Eröffnungsbilanz Dinge finden könnten, die vielleicht nicht so schön oder nicht so
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