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Gemeinderat, 3. Sitzung vom 16.12.2020, Wörtliches Protokoll  -  Seite 81 von 101

 

GRin Mag. Mag. Julia Malle (GRÜNE)|: Sehr geehrte Vorsitzende! Sehr geehrter Herr Stadtrat! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

 

Ich habe mir etwas länger überlegt, ob ich heute überhaupt zu Ihnen sprechen sollte, weil jetzt sehr viel Harmonisches folgt und so viel Harmonie fast unpackbar ist, andererseits schadet ein bisschen Harmonie auch nicht, wenn ich mir die Debatten aus den anderen Geschäftsgruppen so anhöre. Es ist ein Thema, das mir persönlich sehr am Herzen liegt, aus meiner Erfahrung als Lehrerin, und es geht konkret um Postnummer 44, und zwar gendersensible Bubenarbeit.

 

Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen zu Beginn eine Geschichte erzähle, die ich vor einiger Zeit in einer Publikation der Genderforscherin Claudia Schneider gelesen habe. Eine Studentin von Frau Schneider berichtet dort Folgendes: „Als ich vor einiger Zeit ein Wochenende lang auf zwei kleine Buben, dreieinhalb und zweieinhalb Jahre, aufpasste, machte ich einige für mich interessante Beobachtungen. Schon kurz nach der Begrüßung erzählte mir der ältere N. voller Freude und Stolz, dass er ein Schlafkleid bekommen habe. Ein Schlafkleid, fragte ich, weil ich mit dem Begriff nicht gleich etwas anfangen konnte. Ja, mit ‚Hello Kitty‘ darauf, strahlte er. Ach, du meinst ein Nachthemd? Nein, das ist ein Schlafkleid. Am selben Abend beim Schlafengehen war das Schlafkleid wieder Thema. N. erklärte mir, dass er heute noch seinen Pyjama anziehen müsse, da das Schlafkleid ja noch ganz neu sei und vorher erst gewaschen werden müsse. Morgen Früh, so versprach ich ihm, würden wir das Schlafkleid waschen, damit er es abends schon anziehen könnte. Am nächsten Tag blieb kein Zweifel, welch große Freude N. mit seinem Schlafkleid hatte, als er beim Vorlesen der Gutenachtgeschichte immer wieder etwas wegrutschte, denn schließlich brauche er ja Platz für sein Schlafkleid, um es schön auszubreiten. Auch am nächsten Tag hat er jeder und jedem sofort davon erzählt und jedes Mal strahlte er dabei. Als ihm, ich denke, es war im Kindergarten, gesagt wurde, dass nur Mädchen Kleidchen tragen, antwortete er kurz entschlossen darauf: ‚Ich bin ein Mädchen.‘“ Warum ich das erzähle? (Zwischenrufe.) Ja, liebe Kollegen von der FPÖ, ich kann mir schon vorstellen, dass Sie mit solchen Passagen ein Problem haben, denn Sie würden sich als Partei wahrscheinlich sofort abschaffen, wenn Ihre Welt ein bisschen offenerer und bunter wäre.

 

Warum ich das erzähle? Dieses Kind hat in wenigen Sekunden die meines Erachtens einzig logische Antwort gegeben. Dieses Kind geht mit dem von außen aufgezwungenen Alltagswissen über Geschlecht ziemlich cool um: dann ist es eben ein Mädchen. Jetzt frage ich Sie: Wer von Ihnen - außer der FPÖ, wie wir gerade gehört haben -, sehr geehrte Damen und Herren, hätte ein Problem damit, wenn N. seine Persönlichkeit nach Lust und Laune zum Ausdruck bringen könnte, wenn er viele Möglichkeiten hätte statt nur zwei? Wer von Ihnen wäre dagegen, würde N. als erwachsene Person leben können, wie er es für richtig hält?

 

Zu befürchten ist, dass sich N.s Selbstkonzept irgendwann als brüchig erweisen wird oder er es zu hinterfragen beginnt. Was wird dieses Kind im weiteren Verlauf seiner Bildungslaufbahn sagen? Wie wird es handeln, wenn es nicht das Glück hat, in Kindergärten, Volksschulen oder anderen weiterführenden Schulen zu sein, in denen es sein kann, wie es will, in denen es nicht in Rollen gezwängt wird, denen es entsprechen muss?

 

Aus meinem Schulalltag als Lehrerin weiß ich, wie wichtig geschlechtersensibles Verhalten auch für LehrerInnen ist. Unsensible und einseitige Bilder von Gesellschaft in Schulbüchern, Klassenlisten, die nach Buben und Mädchen trennen und somit den Dualismus fortschreiben, Lehrerinnen und Lehrer - natürlich nicht alle -, die in ihren eigenen erlernten Mustern leben und danach handeln, und nicht jede Schule lässt Platz jenseits klar definierter Rollen und Erwartungen.

 

An alle Kinder, unabhängig vom Geschlecht, werden heutzutage gesellschaftliche Erwartungen herangetragen. Zum Teil sind das antiquierte Normen, ähnlich den in Märchenbüchern, und mit Augenzwinkern sei mir noch ein kleines persönliches Beispiel gestattet: Vor vier Jahren sagte mir ein Schüler: „Frau Professorin, ich finde es ur unfair, dass der Prinz in den Märchen immer die Prinzessin retten muss, und am Ende muss er auch noch schmusen, das ist ur anstrengend für die Prinzen.“

 

Auch dieses Kind hat etwas begriffen, was die Fortschreibung von Geschlechterklischees betrifft. Ich sagte aber, mit Augenzwinkern, und ich möchte deshalb auch nicht die Märchenbücher abschaffen - nicht, dass Sie das jetzt falsch verstehen. Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung weist auf der Homepage darauf hin: „Schule hat die Aufgabe, darauf hinzuwirken, dass Schülerinnen und Schüler ihre Kompetenzen, Interessen und Handlungsspielräume möglichst breit entwickeln können, unabhängig von beziehungsweise in kritischer Auseinandersetzung mit bestehenden Geschlechterstereotypen.“

 

Damit PädagogInnen hier Unterstützung erfahren, gibt es eben Vereine wie poika, die sich mit gendersensibler Bubenarbeit befassen und gegen den einseitigen Fokus auf Geschlechterfragen arbeiten. Noch vor kurzer Zeit hielt Österreich europaweit einen traurigen Rekord, was Mobbing von Buben betrifft, Gewalt gegenüber Buben, auch psychische Gewalt, wird viel zu oft marginalisiert.

 

Der Verein poika arbeitet mit Buben seit Jahren erfolgreich in vielen Workshops, einseitige Männlichkeitsvorstellungen abzubauen. Als Lehrerin konnte ich mich viele Male persönlich davon überzeugen. Als GRÜNE unterstützen wir daher natürlich außerschulische Initiativen, die sich mit Geschlechtergerechtigkeit befassen.

 

Für die Zukunft ist uns auch eines wichtig: Die Reflexion festgefahrener Geschlechterkonzepte ist nicht nur in der Schule von enormer Bedeutung, sondern das Bewusstsein für Gleichstellung ist schon im Kindergarten zu fördern. Dafür werden wir GRÜNE verstärkt eintreten, da geht noch mehr. Wir GRÜNE kennen uns da sehr gut aus und wir würden auch mit allen anderen Parteien, die das auch wollen, gerne kooperieren.

 

Kinder kommen nicht mit Schwarzweißbildern, mit Vorurteilen oder in rosa-blau zur Welt. Ich glaube auch,

 

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