Lola Giljon "Neun"
Neun
Alles an ihr ist Papier. Blaue Adern schreiben in feinen Tintenstrichen uralte Wörter über ihre Beine, ihre Arme, sie bilden Sätze, so lang, sie beginnen in ihren Armbeugen mit den Erzählungen und kommen an erst ihren Schläfen zu ihrem Ende. Wenn sie meine Hand, in die ihre nimmt, packt ihre knittrige Haut behutsam meine Finger ein und es ist, als würden kleine rosa Würstchen in Pergament eingewickelt. Ihre Hände sind so weich, braun gesprenkelt und sie riechen nach Rosen. Ich denke jedes Mal an diese Papierhände, wenn ich um den großen Rosenbusch im Liechtensteinpark herumrenne, nach der blumigen Luft schnappe, bis ein kleines Feuer in meiner Lunge brennt und ein metallischer Geschmack sich meinen Hals hinauf bis zu meiner Kehle bahnt. Wenn ich das mache, dann lacht sie jedes Mal und ich lache mit ihr und die Flammen in meiner Brust werden durch jedes Lachen noch ein bisschen mehr entfacht. Helle Funken, die laut aus meinem Mund sprühen und leise aus ihren Augen.
Meistens holt sie mich an diesen Tagen vom Kindergarten ab und die Freude kribbelt in mir, jedes Mal, wenn ich sie am Tor stehen sehe. Ein weiches Gesicht hinter harten Gitterstäben. Sie ist immer die kleinste Gestalt, ein grüner Mantel auf zitternden Schultern, neben großen Vätern mit starken Armen und Müttern mit ungeduldigen Mienen. Meist trägt sie ihre Lederhandtasche in der einen, manchmal ein Kräuterzuckerl in der anderen Hand, aber immer ein Lächeln auf ihren dünnen Lippen. Schmelzende Süße in meinem Mund, während ich meine Arme um sie schlinge.
Wir gehen nie sofort nach Hause. Immer wenn ihr Gesicht so hinter dem Tor erscheint, mit diesem Schmunzeln, welches die Haut um ihren Mund zerknittert, dann weiß ich, der Tag gehört uns. Uns und ihren Geschichten. Auch wenn dem Himmel dicke Tränen aus seinen feuchten Augen kullern, wenn die großen Wattewolken, die sich da oben an so ihn klammern, von der Kälte in weiße Flocken zerrupft werden und auf uns niederrieseln, sogar dann, wenn der Wind persönlich, uns mit seinem hämischen Pfeifen bedeutet zu verschwinden, gehen wir los. Unsere Schritte immer im gleichen Takt.
Vier Füße klopfen denselben Rhythmus auf Straßen, die nie neu, aber auch nie dieselben sind. Immer schmeckt die Luft auf meiner Zunge anders. Der Teppich aus Geräuschen, der sich über uns legt, scheint jeden Tag neu gewebt zu werden, manchmal ist er dick, in einem schönen Patchwork Muster in vielerlei Farbtönen und manchmal ist er nur ein luftiges seidiges Tuch, das uns mit seiner beruhigenden Kühle streift.
Die Route ist auch jedes Mal eine andere, obwohl sie doch fast immer im Liechtensteinpark beginnt, wo meine Beine in ein paar Runden um den Rosenbusch ihr freudiges Kribbeln loswerden und sie die ihren mit einem tiefen Seufzer von sich streckt, sitzend, auf der gegenüberliegenden Bank. Neun Runden. Unser Lachen. Sprühende Funken.
Ich lasse mich neben sie fallen, mit stechender Seite, meine Brust noch warm von unserem Feuer, und sie beginnt zu erzählen.
Fürstin Liechtenstein, die ich aus ihren Geschichten kenne, habe ich noch nie zu Gesicht bekommen, doch abends im Bett liegend, spinne ich die Erzählungen in meinem Kopf oft weiter. Ich male mir aus wie wir uns begegnen, wie sie meine Freundin wird und wie wir nach ihrer Einladung in das Palais, Kuchen essen, warmen Tee aus feinem Porzellan trinken. Unseren kleinen Finger dabei immer vornehm gespreizt. "Sie heißt Fürstin Liechtenstein, weil sie auf den ersten Blick zwar unscheinbar wirkt, aber wenn jemand der ein wirklich reines Herz hat, es vermag in ihr wahres Innerstes zu blicken, dann beginnt sie zu leuchten! Kennst du Feuersteine? Im Kindergarten habt ihr schonmal welche gehabt also? Ja, dann weißt du gut, wovon ich rede." Sie lacht und ich lache und wir beide sind Liechtensteine.
An trockenen Tagen, meistens wenn die Sonne scheint und ihre Beine nicht zu müde für einen Aufstieg sind, dann brechen wir unseren Gleichschritt und ich springe die Treppe der Strudelhofstiege hinauf, hüpfe wieder hinunter zu ihr, nehme neun Stufen und sie zwei. Jedes Mal neun in den Himmel, sieben zur Erde. Dieses Emporklettern, scheint die Zeit immer in zwei Richtungen laufen zu lassen. "Weißt du was ich mir gerade denke?" Ich weiß es nicht.
"Wenn jemand wissen will wie das Leben funktioniert, dann muss er dir nur zuschauen wie du die Strudelhofstiege emporspringst! C’est la vie!" Sie bleibt stehen, um sich etwas mehr Luft und Sonne für ihr helles, strahlendes Lachen zu holen. Ich lächle, ich lache nicht, möchte nicht zugeben, dass ich nicht genau weiß, was sie damit meint. Doch ich muss es auch nicht zugeben, sie verrät mir ihre Antwort auch so. "Manchmal nimmt man neun Stufen auf einmal, es sprudelt richtig, man kommt so schnell nach oben, ein Höhenflug wahrhaftig – und dann macht man wieder sieben Rückschritte. Aber du bist nie wieder ganz am Anfang. Jedes Mal bist du trotzdem 2 Stufen höher, oder? Und es sind diese zwei Stufen, die zählen, nicht die sieben. Verstehst du, was ich meine?" Ich verstehe, was sie meint. "Und weißt du was das Schönste an der ganzen Sache ist?" Sie wickelt meine Finger in ihre Papierhände. "So hat man viel länger was von der wundervollen Treppe." Unsere Füße finden wieder denselben Rhythmus. Ihr rechter Fuß hebt sich, ihre Knöchel drücken sich weiß durch die gesprenkelte Haut an ihren Händen, den Griff um das Geländer verstärkend. Sie setzt ihren Fuß ab, holt den linken nach. Meine Beine folgen dieser Bewegung, sie tun dasselbe, bis vier Füße auf derselben Stufe stehen und wir atmen. Und dann die nächste in Angriff nehmen.
Bei jedem unserer Ausflüge, bin ich jedes Mal wieder erstaunt darüber, wieviel Erwachsene sich merken können. Mir kommt es vor, als würden Worte und Namen an ihnen haften bleiben, während ich diejenige bin, die vergebens versucht mich an diese zu klammern, bevor sie mir wieder entgleiten können. An Weihnachten ist sogar das Gedicht aus meinem Kopf verschwunden, was ich für sie vor unserem geschmückten Baum aufsagen wollte. Seine Lichter haben in ihren Augen geglitzert, sie hat sich gefreut, als ich so vor ihr stand, die Lücken in meinem Text mit keinem Wort, keiner Miene erwähnend. Trotzdem hat es in meiner Kehle geprickelt und meine Brust war ganz schwer, frustriert, dass mir die Worte so leicht entfallen sind. Ich höre aber dennoch nicht auf nach ihnen zu greifen, ermutigt von ihr, die Welt zu erfragen und vor allem in meiner Neugier ehrlich zu sein.
"Wie heißt diese Straße?" Es ist mittlerweile wie ein Spiel zwischen uns und ich freue mich besonders, wenn sie diejenige ist, die mir diese Frage stellt und ich die richtige Antwort tatsächlich schon leicht und süß auf der Zunge schmecken kann. "Nussdorferstraße!" Ermutigt von meiner richtigen Antwort, schiebe ich eine Frage nach, die mir auf der Zunge brennt. "Und wieso heißt die Straße so? Ich meine, wer gibt den Straßen diese Namen?" Sie bleibt stehen, schaut mich an. "Mon dieu, das weiß ich tatsächlich selber nicht." Sie helles Lachen leuchtet wie ein Lichtkegel die Nussdorferstraße entlang und sie breitet ihre Arme aus, als würde sie alle Häuser, alle Autos, alle Menschen in einer Geste zusammenfassen wollen.
"Aber jedes Mal wenn mich ein Straßenname interessiert, weißt du was ich dann tue?" Ihre Stimme hat einen belustigten Tonfall. Ich konnte es mir vorstellen, bleibe aber stumm, bis sie die leere Stille mit ihrer Antwort selbst füllt. "Ich denke mir: wenn ich diejenige gewesen wäre, die der Straße diesen Namen gegeben hätte, wieso hätte ich sie so genannt?" Ich bin begeistert, ein neues Spiel. "Weißt du, ich gehe jetzt schon seit 61 Jahren durch die Straßen unseres Bezirks und mir fallen jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, noch tausend neue Möglichkeiten ein, mille possibilités!" Sie macht eine kurze Pause, Neugier schwimmt in ihren feuchten Augen, als sie mich anschaut. "Und wieso heißt sie für dich Nussdorferstraße?" Ich überlege kurz und versuche das Bild von Eichhörnchen, die in meinen Kopf an Walnüssen nagen zu verscheuchen. Ich möchte eine gute Geschichte erzählen, so wie sie mir immer ihre Geschichten erzählt. "Weißt du, vor ganz ganz langer Zeit, da waren die Menschen in dieser Straße hier ganz arm und haben sich nur ein schönes Zuhause für sich gewünscht. Dann ist eine gute Fee gekommen und hat ihnen einen Baum gepflanzt- einen Nussbaum! Neun Nüsse sind auf dem Baum gewachsen, weil es ja auch der neunte Bezirk ist, weißt du? Und die meisten waren wütend, weil wie sollen ihnen Nüsse helfen ein schönes Zuhause zu haben? Dann wollten alle die Nüsse essen, wenigstens sind sie dann nicht hungrig, und haben sich um sie gestritten, es gab ja nur neun. Eine alte Frau… fast so alt wie du..." Ein empörter Blick, mir gespielt entgegengeworfen, trifft mich mit voller Wucht und boxt ein kurzes Lachen aus meinem Bauch, durchtrennt meinen Satz in der Mitte. "Also diese seeeeehr alte Frau hat gesagt, dass sie keine Nuss braucht, weil die Kinder und Familien sie ja viel mehr brauchen als sie. Und dann haben die, die am schnellsten und gierigsten waren, die Nüsse gepflückt und sofort in den Mund gesteckt und gegessen. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht… aber die neunte Nuss war weg! Die neunte Nuss hat nämlich die Fee genommen und
sie dann der alten Frau geschenkt – weil sie ja die einzig gute war. Und dann hat die Fee ihr das geheime Geheimnis verraten!" Leuchtende Augen, groß und geweitet vor Spannung, werden in der Pause noch größer, in der ich tief Luft hole und versuche mehr Gewicht in meine Stimme zu legen, damit sie tief, tief, tief auf den Boden meiner Kehle sinkt. "Das Geheimnis ist: die Nüsse sind gar nicht zum Essen, es sind Wunschnüsse… Die Frau war die Einzige, die so ein großes Herz hatte und an andere gedacht hat. Alle anderen wollten die Nüsse nur für sich und waren so gierig, dass sie die Nüsse schnell, schnell, alle verputzt haben, bevor jemand anderes sie ihnen wegnehmen konnte. Die Fee hatte ja überhaupt keine Zeit zu sagen, dass sie gar nicht zum Essen da sind! Die alte Frau war dann am Ende die Einzige, die sich etwas wünschen konnte. Weil sie so ein großes Herz hatte, war sie aber gar nicht böse, hat sich nur über den Wunsch gefreut und sich entschieden diesem einen, auch den Wunsch von allen anderen in Erfüllung gehen zu lassen: nämlich ein wahres Zuhause zu haben! So hat die Fee ihnen warme gemütliche Häuser in diese Straße gezaubert, ein schönes Dorf eben, wo es jedem gut geht und alle gut miteinander leben konnten. Und seitdem heißt die Straße hier Nussdorferstraße. Das ist das Ende."
Ich bin überrascht. Überrascht darüber wie meine Stimme Worte und Sätze scheinbar wie von selbst aneinandergelegt, sie überkreuzt und am Ende zu so einem starken Band zusammengeflochten hat, dass dies tatsächlich auch hält. Denn eigentlich kann ich gar nicht flechten und besonders viele Wörter kenne ich ja auch nicht. Ich bin erstaunt, dass das Ende der Geschichte und meine Antwort auf die Frage nun einfach so vor mir liegen, als wären sie von mir dort hingezaubert worden und wenn ich meine Augen jetzt über die Straße wandern lasse, sehe nicht mehr nur Pflastersteine, Autos, Wohnhäuser, ich fühle Wünsche, Gemeinschaft und mich zuhause.
Ein Lächeln geht auf ihrem Gesicht auf wie ein Sichelmond neben den hundert braun gesprenkelten Sternen, aber es ist so warm wie die Sonne. Dieses Mondlächeln sagt mir, dass ihr meine Geschichte gefällt, noch bevor sie es ausspricht. "Magnifique! Es ist eine wundervolle Geschichte und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es sich genauso ereignet hat!" Unsere Schritte finden wieder denselben Rhythmus und wir gehen beide schweigend
nebeneinander die Nussdorfer Straße entlang, während die Geschichte sich stumm, wie ein Film noch einmal vor unseren Augen abspielt. "Weißt du, was mir an deiner Geschichte besonders gefällt?" Sie bricht das Schweigen, wie einen dünnen zarten Ast, mit ihrer Stimme durch. Ich war mir sicher, dass es die Wunschnüsse waren, doch bevor ich die Worte meiner Antwort in den Mund nehmen konnte, sprach sie weiter. "Ich wohne jetzt schon so lange hier, gehe schon seit Jahrzehnten die Straßen dieses Bezirkes entlang und habe mich auch schon manchmal gefragt wer der Einfallspinsel war und ihnen ihren Namen gegeben haben. Aber weißt du, worüber ich nie nachgedacht habe? Ich habe mich nie gefragt, woher kommen die Straßen, woher kommen all diese Wohnräume, die warmen Häuser, jedes schöne Zuhause?
Sie waren einfach immer schon, da, sogar als ich selbst mit neun Jahren hergekommen bin. Ich war so alt wie du jetzt bist. Und deine Erzählung macht mir bewusst, die Frauen haben nicht nur die Namen der Plätze geprägt, sie haben diese Plätze selbst geschaffen."
Wenn ich sie sehe und in ihrer zarten Hand nicht nur die kleine Handtasche baumelt, sondern auch ihr großer karierter Beutel über ihrer rechten, besseren Schulter hängt, dann weiß ich immer ganz genau, wo unseren kleinen Ausflügen enden werden. Es gibt so viele Bücher mit tausenden von Wörtern und hunderten von Menschen, die in ihrer Wohnung ein und aus gehen, die hallo sagen und sich nach einiger Zeit wieder verabschieden. Die die länger bleiben dürfen, liegen immer erst frei atmend auf dem Kätschen neben ihrem Bett, werden jeden Abend von ihr durchlüftet, Seite um Seite bis zur letzten von ihr umgeschlagen, bis sie als abendliche Gesellschaft ausgedient haben und anschließend ein gemütliches Plätzchen auf ihrem Holzregal finden. Es sind immer nur die Bücher, die die ihr abends ein besonders breites Lächeln auf die Lippen zaubern, die ein Lachen aus ihrem Bauch kitzeln, oder die mit feuchten Seiten und einem Schniefen zugeschlagen werden, denen es am Ende erlaubt wird, ganz bei ihr einzuziehen. Die anderen trägt sie dann in diesem Beutel unter ihrem Arm, wenn sie mich abholen kommt. Ihre zarte Gestalt von seinem Gewicht, wie eine Banane, leicht zur Seite gebogen. An diesen Tagen steigen wir nie die Strudelhofstiege hinauf, unsere Route ist meist kürzer und wir sind langsamer, wenn wir durch den Liechtensteinpark hindurchspazieren, die Nussdorferstraße entlang und dann im Gleichschritt in Seitengassen einbiegen, die uns bis zum Sobieskiplatz führen.
Es ist nur eine kleine Holzhütte, vielleicht nicht mal einen Meter breit, ein bisschen größer als ich und trotzdem versammeln sich in ihr jeden Tag hunderte von Menschen, die Geschichten von sich selber, von Dingen und Orten erzählen, die weit über die Grenzen dieses Platzes hinausgehen. Sie lässt den Beutel, jedes Mal begleitet von einem erschöpften Seufzer, von ihrer Schulter gleiten, zieht mit zitternder Hand Geschichten aus diesem heraus und stellt sie eine nach der anderen sorgsam zurück den Bücherschrank. "Ich liebe diesen Platz, weil wir hier mit den verschiedensten Menschen Geschichten teilen können und es ist egal ob wir uns ähnlich sind, oder vollkommen verschieden. Wir müssen nicht mal dieselbe Sprache sprechen!" Und tatsächlich stöbere ich oft durch Bücher mit fremden Wörtern, die mich zum Staunen bringen. Mal ist es Türkisch, mal Italienisch, mal ein Buch voller geheimnisvoller und wunderschöner Schriftzeichen, von denen sie mir erklärt, es sei asiatisch, aber welche Sprache genau, wisse sie leider auch nicht. "Aus welch fernen Ländern die Menschen alle kommen, die ein Buch in diesen Schrank gelegt haben, wer weiß welche Finger schon vor mir schon in den Seiten geblättert haben, oder es noch nach mir tun werden." Sie blickt auf ihre Hände und ich frage mich, ob sie dasselbe denkt wie ich. Wie viele Seiten, die ihren schon umgeschlagen haben müssen, dass sie nun selbst zu Papier geworden sind. "Diese Geschichten gehören nicht nur mir, sondern allen. Der Sobieskiplatz sieht zwar klein aus, aber eigentlich er ist so groß wie le monde entier!" Erst nachdem ihr Beutel leer ist, beginnt unsere kleine Schatzsuche. Jedes Exemplar wird einmal herausgezogen, untersucht und wir lachen bei Titeln wie "Männer verstehen" oder "Ritter Bertram mag nur Milchreis". Interessantere Titel werden unter unsere Arme geklemmt, um sie nachher näher in Augenschein nehmen zu können. Ich liebe diesen Platz genau wie sie, vor allem im Herbst. Dann, wenn die Blätter an den hohen Bäumen anfangen zu rosten, sie im ersten kalten Wind des Jahres erschaudern, ihre Arme schütteln und das erste trockene Laub Richtung Boden werfen. Knistern wird zu einem stetigen Begleiter unserer Schritte, knuspriges Braun und Rot unter unseren Sohlen, wenn wir mit den Büchern in unseren Armen zu der Bank direkt neben dem Häuschen schlendern. Wir lassen uns auf ihr nieder, präsentieren uns gegenseitig unsere Auswahl. Sie liest mir immer vor, oft auch auf Französisch, jedes Mal erfreut Bücher gefüllt mit diesen Wörtern zu finden, mit denen sie eine besondere Vertrautheit besitzt. Eine Sprache, die mir noch verschlüsselt erscheint. Meistens weiß ich nicht ganz, worum es in den Erzählungen geht, verstehe aber dieses leise Singen ihrer Stimme, das Rauschen der Blätter im Hintergrund und ich brauche den Inhalt ihrer Worte nicht zu begreifen, um sie zu genießen. Es gibt Tage an denen brechen wir vom Sobieskiplatz auf und der karierte Beutel ist doppelt so schwer wie zu unserer Ankunft. Nun nicht nur mehr gefüllt mit ihren Schätzen, sondern auch mit meinen. Ein Henkel gehalten von meinen kurzen Sternfingern, der andere liegt weich in ihrer Papierhand. Wir sind schon zuhause, als wir uns auf den Heimweg machen.
In diesen Straßen und den Geschichten, die sie erzählen, sind wir nie einfach nur Zuhörerinnen. Wir gehen sie entlang, webend und spinnend ihren Lauf bestimmend. Wir entscheiden, wohin wir gehen wollen, aber vor allem, wo wir bleiben möchten.
Neun Runden um den Rosenbusch und sie ist wieder da, in der Luft, ich atme sie sie ein und alles blüht.
Neun Stufen zu ihr hinauf, sieben hinunter zu mir, zwei Stufen näher beieinander. Denn das ist es, was zählt.
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